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Die serbische Premierministerin Ana Brnabić äußerte sich vergangene Woche negativ und beleidigend zu "Prishtina".

Foto: Reuters/Vasily Fedosenko

Drinnen im Kulturzentrum diskutierten am Samstag serbische und kosovarische Historiker über Schulbücher und darüber, wie durch bestimmte Geschichtserzählungen, Stereotype, das Weglassen von wichtigen Fakten oder aber das Übertreiben von Geschehnissen neue Generationen erzogen werden, die so sicherlich nicht lernen, die andere Seite zu verstehen. Die Wissenschafter kamen zum Schluss, dass durch die Propaganda in den Schulbüchern sogar neue Konflikte möglich gemacht werden.

Im Rahmen des Festivals "Miredita, Dobar dan!" – was Guten Tag auf Albanisch und Serbisch bedeutet – wird jedes Jahr versucht, einen Austausch zwischen Belgrad und Prishtina zu pflegen, der bei der Normalisierung der Beziehungen helfen soll.

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Ultranationale Demonstranten versuchten das Festival zu stören.
Foto: Reuters/MARKO DJURICA

Doch sehr normal wirkt es nicht, wenn vor der Tür hochgerüstete Polizeibeamte in Reih und Glied stehen, bloß weil gebildete und aktive junge Bürger miteinander reden. Das Festival ist aber ein aufklärerischer und positiver Beitrag zu einem besseren nachbarschaftlichen Verständnis, und so einen kann man in der Politik kaum finden. Im Gegenteil, auf der rhetorischen Ebene wird seit Monaten wieder aufgerüstet.

Razzia im Norden des Kosovo

Vergangene Woche wurde das Thema Kosovo in vielen serbischen Medien wieder einmal hochgezogen, weil die kosovarische Polizei eine Razzia in einem Ort im Nordkosovo durchgeführt und 19 Polizisten – darunter elf Serben, vier Albaner und vier Bosniaken – wegen des Verdachts auf kriminelle Aktivitäten, etwa Amtsmissbrauch und Bestechlichkeit – verhaftet hatte. Die verdächtigten Polizisten sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Bei der Razzia schossen die Verdächtigen allerdings auf die Polizei, sodass einige Polizisten verletzt wurden.

Im Nordkosovo leben viele Serben, die behördlichen Strukturen sind nur teilweise in den kosovarischen Staat integriert. Unter den verhafteten Verdächtigen war auch ein russischer Vertreter der UN-Mission Unmik im Kosovo namens Michail Krasnoschenkow. Der Mann wurde bei der Festnahme offensichtlich verletzt und befindet sich in einem Spital in Serbien. Russland hatte gegen seine Festnahme zuvor protestiert. In Serbien reagierte man heftig.

Präsident Aleksandar Vučić verurteilte die Razzia der Polizei im Kosovo und behauptete, diese sei eine "Einmischung" und würde Ängste erzeugen. Der Staatschef sagte zudem, dass die Armee von Serbien in Alarmbereitschaft sei und die serbische Bevölkerung im Norden des Kosovo jederzeit beschützen würde. Bei der Razzia ging es allerdings gar nicht um bedrohte Bürger, sondern um mutmaßliche Kriminelle, und von diesen waren auch nicht alle Serben.

Mediale Aufreger

Solche medialen Aufreger gibt es aber alle paar Monate, dazu kommen oft politische Inszenierungen, um den Eindruck zu erwecken, dass eine unmittelbare Gefahr bevorsteht. So war etwa der serbische Minister für den Kosovo, Marko Djurić, im Vorjahr ohne Erlaubnis der kosovarischen Behörden in den Kosovo gefahren und dann dort festgenommen worden. Auch da war die Empörung groß, obwohl zu erwarten war, dass er von der Polizei aufgehalten wird. Vučić unterstreicht aber nach solchen Vorfällen gerne, dass er den Frieden wolle, und präsentiert sich als Krisenmanager.

Regierungsnahe Medien tragen zu dieser Darstellung bei. Sie fördern aber auch negative Stereotype über "die Albaner". Die Republik Kosovo und ihre Regierung werden von Serbien nicht anerkannt, dort nennt man den Staat Kosovo oft einfach "die Albaner" oder "Prishtina". Die serbische Premierministerin Ana Brnabić äußerte sich vergangene Woche negativ und beleidigend zu "Prishtina".

Sie sagte, dass man dort nicht rational denke und dass dies mit den "Leuten zu tun hat, die direkt aus dem Wald kommen". Der Topos der angeblichen zivilisatorischen Überlegenheit von Serben gegenüber Albanern ist uralt und wurde immer wieder von Nationalisten benutzt.

Premierministerin darf nicht einreisen

Der Kosovo hat mittlerweile gegen Frau Brnabić wegen ihrer "rassistischen Äußerungen gegenüber Albanern" ein Einreiseverbot verhängt. Krasnoschenkow wurde zur Persona non grata erklärt. Laut kosovarischen Behörden habe Krasnoschenkow versucht, die gesamte Polizeioperation zu behindern, indem er sein Auto dazu verwendete, eine Barrikade gegen die Polizei aufzubauen.

Brnabić kritisierte vergangene Woche außerdem, dass die EU die kosovarische Regierung nicht gezwungen habe, die 100-Prozent-Zölle wieder zurückzunehmen, die Prishtina seit November vergangenen Jahres auf Waren aus Serbien und aus Bosnien-Herzegowina einhebt. Die Zölle wurden von der kosovarischen Regierung eingeführt, um zu verhindern, dass die beiden Präsidenten Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi sich auf einen Gebietstausch zwischen den beiden Staaten einigen – denn die meisten kosovarischen Politiker waren und sind gegen diese Idee. Tatsächlich wurde durch die Zölle der Dialog und damit auch der Gebietstausch verhindert.

Zölle ohne Auswirkungen

Die Zölle haben aber ohnehin kaum Auswirkungen, weil die Waren aus Serbien nach wie vor über Schmuggelwege in den Kosovo gelangen. Brnabić behauptete, dass der Umstand, dass nur 55 Prozent der serbischen Staatsbürger für einen Beitritt ihres Landes zur EU sind, auch mit den Zöllen zu tun habe. Allerdings war die Zustimmung zu einem EU-Beitritt in Serbien schon immer relativ gering – dies hat nichts mit aktuellen Entwicklungen zu tun.

Besonders aufgeregt hat Brnabić aber vergangene Woche der Bericht der EU-Kommission zu Serbien, der demokratische Missstände aufzeigt. Dieser sei in bestimmten Teilen "nicht objektiv", sondern "politisch", sagte sie und machte sich sogar über eine Passage lustig, wo es um die Kritik an mangelhaftem Parlamentarismus ging. Eine solche Reaktion auf eine Analyse der Kommission gab es bislang noch in keinem EU-Kandidatenland.

Die Kommission hatte kritisiert, dass der Parlamentarismus in Serbien nicht mehr funktioniere, weil es zu manchen Gesetzesvorschlägen keine Debatte mehr gebe und der Opposition nicht mehr das Wort erteilt würde. Zudem wurde die massiv verschlechterte Situation der Medienfreiheit und der Arbeit von Journalisten erwähnt. Auch die politische Einflussnahme in der Verwaltung war einer der Kritikpunkte.

Viel weniger Demonstranten

In Serbien selbst finden weiterhin jeden Samstag Demonstrationen statt. Doch die Menschen, die sich vergangenes Wochenende vor dem Hotel Moskva bei lauter Musik versammelten, sind nur mehr wenige im Vergleich zu den Winterdemonstrationen, im Zuge derer noch tausende Demonstranten zusammenkamen, um gegen die autokratischen Tendenzen des serbischen Präsidenten Vučić zu demonstrieren.

Der Europarat kritisierte jüngst auch, dass Serbien eine lebenslängliche Strafe – ohne frühere Entlassungsmöglichkeiten – für diverse Verbrechen, etwa Kindesmord, eingeführt hat. Vučić rühmte sich, dass es drakonischere Strafen als in Österreich oder in Deutschland geben werde. Kritik gibt es auch vom früheren Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

Denn bislang weigern sich zwei Vertreter der Radikalen Partei, nach Den Haag zu fahren, obwohl sie dort wegen Missachtung des Gerichts ein Verfahren erwartet. Der Oberstaatsanwalt des Gerichts, Serge Brammertz, kritisierte erst kürzlich, dass es zu wenig politischen Willen gebe, wegen Kriegsverbrechen Verdächtige anzuklagen, stattdessen würden weiterhin Verbrechen geleugnet und Verurteilte glorifiziert.

Massengräber finden

Die Familie Bytyqi versucht indes mittels einer Öffentlichkeitskampagne, die mögliche Freilassung des früheren serbischen Generals Vlastimir Djordjević zu verhindern. Sie vermuten, dass er den Tod von ihren Verwandten, den drei Bytyqi-Brüdern Ylli, Agron und Mehmet, im Jahr 1999 in Serbien zu verantworten hat. Die Familie will erreichen, dass Djordjević Hinweise gibt, wo sich Massengräber aus dem Krieg befinden könnten, damit sie die Überreste ihrer Verwandten finden können. Djordjević war zu 18 Jahren Haft verurteilt worden. (Adelheid Wölfl aus Belgrad, 4.6.2019)