Bilder aus der sudanesischen Hauptstadt Khartum, die man nicht wieder vergisst. Ein kaum zwölfjähriger Bub liegt blutend auf der Straße vor dem Hauptquartier der Streitkräfte: Entweder er stirbt, oder er ist bereits tot. Ein junger Mann torkelt blutüberströmt auf eine von den Aufständischen errichtete Straßensperre zu und bricht dort zusammen. Ein auf der Straße hockender Mann will sich, als Schüsse fallen, in Sicherheit bringen: Er steht auf, wird von einer Kugel getroffen und fällt zu Boden.

Eine Gruppe von Menschen versucht, in das Hauptquartier der Streitkräfte zu gelangen, wo Demonstranten einst Schutz vor den Kugeln der Geheimpolizei gefunden hatten: Doch dieses Mal werden die Männer auf die Straße zurückgestoßen, während Schüsse zu hören sind. Und in der Eingangshalle des Khartumer Royal Care Hospital liegen dutzende Menschen auf dem Boden: Fast alle wurden von Kugeln getroffen, manche hängen an Infusionen.

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Vor dem Hospital sind Milizionäre der Rapid Support Forces (RSF) vorgefahren, um Neuankömmlingen den Weg zu versperren: Im nahen Al-Moalem-Krankenhaus sollen die Milizionäre sogar das Feuer eröffnet haben. "Die Situation ist unbeschreiblich", meldet der Chefarzt des Royal-Care-Krankenhauses über Twitter: "Wir brauchen dringend mehr Ärzte."

Angriff im Morgengrauen

Sudans Opposition hatte das Blutbad vorhergesehen: "Wir dachten eigentlich, dass sie um zwei Uhr angreifen werden", sagt ein Freund am Telefon. Doch der Regen verzögert die Militäraktion: Erst beim Morgengrauen schlagen die RSF-Milizionäre und Bereitschaftspolizisten zu. Mehrere Hundertschaften umstellen die Straße vor dem Hauptquartier der Streitkräfte, auf der bereits seit zwei Monaten das friedliche Sit-in der Aufständischen stattfindet – erst setzen sie Tränengas und Blendgranaten ein, dann wird scharf geschossen.

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Wegen des Regens befinden sich nur Hunderte von Demonstranten auf der "Revolutionsmeile" – an anderen Tagen waren es Tausende, zuweilen bis zu einer Million. Die Armeeführung beklagte in den vergangenen Tagen immer lauter die Umtriebe vor ihrem Hauptquartier: Die Kundgebungen seien "eine Gefahr für das Land und seine Bewohner", gab der militärische Übergangsrat (TMC) bekannt.

Streit um Übergang

Wochenlang verhandelten die Generäle mit der Opposition über die Bildung einer Übergangsregierung. Doch die Gespräche brachen schließlich zusammen, weil sich die Parteien nicht auf die Besetzung des souveränen Übergangsrats einigen konnten. Die Militärs pochten auf eine Mehrheit in dem Gremium, die Opposition wollte ihnen nur vier der gesamt elf Sitze einräumen.

Am Montagmorgen suchten die Generäle eben dieses Verhandlungspatt auf ihre Weise zu lösen: Die Revolutionsmeile wurde geräumt, innerhalb einer halben Stunde gaben die Milizionäre nach Angaben von Augenzeugen mindestens 5.000 Schüsse ab. Nicht alle wurden in die Luft abgefeuert: Über mehr als 30 Tote wird berichtet, hunderte wurden verletzt. "Die Masken sind gefallen", meint der Khartumer Menschenrechtler Azaz Elshami: "Die Generäle wollen keinen Wandel. Sie wollen die Macht für sich."

Aktion gegen "Ganoven"

Anschließend versucht es der militärische Übergangsrat mit Augenauswischerei: Die Aktion habe gar nicht den Demonstranten auf der Revolutionsmeile gegolten, teilt ein TMC-Sprecher mit: vielmehr einem benachbarten Stadtviertel namens "Kolumbien", in dem Ganoven ihr Unwesen treiben würden. Anders als vor zwei Monaten stellen sich die Soldaten jedoch nicht schützend vor die Demonstranten: Vielmehr sind sie auf der Seite der RSF-Milizionäre und Bereitschaftspolizisten im Einsatz.

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RSF-Kommandant Mohamed Hamdan Dagalo, alias Hemiti, schien am Anfang der Revolution noch auf der Seite der Demonstranten und gegen seinen ehemaligen Mentor Omar al-Baschir zu stehen: Doch immer deutlicher zeichneten sich in den vergangenen Wochen die Ambitionen des stellvertretenden TMC-Chefs auf die Macht im Staat ab. Die Staatsanwaltschaft hat Medienberichten zufolge am Montagabend ein Komitee eingerichtet, dass den gewalttätigen Vorfall untersuchen soll.

Aufruf zur Eskalation

Die oppositionelle Sudanesische Berufsvereinigung (SDA) brach inzwischen alle Gespräche mit den Generälen ab und rief die Bevölkerung zur Eskalation des Widerstands und zu einer Kampagne des zivilen Ungehorsams auf. In zahlreichen Städten des Landes gingen aus Protest gegen das Blutbad noch am Montag tausende Menschen auf die Straße, auch in Khartum. Westliche Diplomaten verurteilten das brutale Eingreifen der Sicherheitskräfte, darunter auch Uno-Generalsekretär Antonio Guterres. Uno-Menschenrechtsbeauftragte Michelle Bachelet forderte ein sofortiges Ende der Angriffe auf Demonstranten, um Zugang für Ärzte zu ermöglichen.

Doch die Militärs können sich der Unterstützung aus Ägypten, den Arabischen Emiraten sowie Saudi-Arabien sicher sein: Dorthin waren die beiden TMC-Chefs General Abdel Fattah al-Burhan und Hemiti vor wenigen Tagen gereist. Hamid Eldood, Professor an der Khartumer Al-Neelain-Universität, spricht gegenüber Al-Jazeera von einem "barbarischen Akt" der Generäle: "Es sieht so aus, als ob wir einem Bürgerkrieg und einer düsteren Zukunft entgegengehen." (Johannes Dieterich, 3.6.2019)