Die SPÖ muss raus aus dem Parteifunktionärssprech.

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Das Spielfeld für einen Wahlkampf war noch nie so ausgeglichen, findet Kampagnen- und Kommunikationsberater Yussi Pick im Gastkommentar.

"Gmahte Wiesn" ist es keine. Der aus dem Amt gewählte Sebastian Kurz erfreut sich noch immer ungebrochener Beliebtheit bei vielen Wählerinnen und Wählern und vor allem seiner Wahlkampfhelferinnen und -helfer, die von dem aus ihrer Sicht hinterhältigen Attentat auf "Sebastian" motiviert in einen "Jetzt erst recht"-Wahlkampf starten. Auch die ersten Umfragen, die seine ÖVP allesamt mit einem saftigen Zugewinn zeigen, bedienen dieses Narrativ.

Und dennoch: Durch den Misstrauensantrag der SPÖ – auch wenn der Weg dorthin mehr als holprig war – hat sie eine nie zuvor gesehene Ausgangslage geschaffen: So ein ausgeglichenes Spielfeld gab es noch nie.

Themen setzen

Gleich ob Kurz tatsächlich ein Meisterstratege ist, der seine Abwahl minutiös geplant hat, wie Sebastian Fellner kommentierte (Was, wenn Kurz es so wollte? Ein Gedankenspiel), oder ob er jetzt genauso wenig Plan hat, wie alle anderen Parteien: Seinem Team und ihm geht durch die Übersiedlung in die ÖVP-Zentrale ein wichtiges Asset verloren: die Macht, Themen zu setzen.

Kurz hat 2017 vor allem damit gepunktet, als Außenminister den medialen Diskurs vor der Wahl mit jenen Themen zu prägen, in denen ihm am meisten Lösungskompetenz zugetraut wurde: der Frage über den Umgang mit Migration und Flucht – Stichwort: Balkanroute –, aber auch der Frage von Zusammenarbeit innerhalb der Koalition – Stichwort: genug gestritten.

Dieser Vorsprung beim sogenannten Priming-Effekt steht Kurz jetzt nicht mehr zur Verfügung. Oder zumindest nicht mehr, als er anderen Parteien zur Verfügung steht.

Weder Kanzler- noch Regierungsbonus

Zum ersten Mal in einem Wahlkampf gibt es weder Kanzler- noch Regierungsbonus. Dieses Vakuum müssen SPÖ und Grüne für sich nutzen. Keine Frage, beiden fehlt dennoch vieles von dem, was Kurz hat: ein eingespieltes Team, reiche Einzelspender mit Interesse an einem Return-of-Investment, die Unterstützung des Boulevards, die Beliebtheit der eigenen Kandidatin, die außerdem die eigenen Leute motivieren kann.

Aber: Auch keiner der Mitbewerber hat einen Plan, niemand hat einen Themenkalender, der sich durch Regierungsarbeit samt PR-Maschinerie generiert, und es gibt nichts zu verlieren – außer für die ÖVP.

Mehrheit schaffen

Die Basis für den Wahlausgang wird also in den nächsten Tagen gelegt: Es ist die Chance für zwei mutige Parteien, die sich thematisch und strategisch trauen, aufzufallen. Die nicht um den zweiten beziehungsweise letzten Platz spielen, sondern den Anspruch haben, eine Mehrheit jenseits von Türkis-Blau zu schaffen.

Was es dafür braucht? Schluss mit den Konjunktiven, den Passivformulierungen und Sätzen wie "Sie können sich sicher sein, dass wir den Führungsanspruch stellen werden". Und Schluss mit dem Babytierwahlplakaten und Lifestylewahlkämpfen.

Progressive Ideen

Vor allem die SPÖ hat in Moment keine Antworten auf die einfachen ("Warum sind Sie die richtige Kandidatin für die kommende Nationalratswahl?") und auf die schwierigen Fragen. Sie setzt (noch nicht) auf Themen, die unter den Nägeln brennen, sondern bleibt in Parteifunktionärssprech. Wenn sich das nicht schlagartig ändert, wird das Ergebnis der SPÖ nicht einmal mehr so gut sein wie bei der EU-Wahl.

Wenn die SPÖ in diesem Führungsvakuum nicht das Heft des Handelns in die Hand nimmt, hätte man den Misstrauensantrag gleich bleiben lassen können. Jetzt geht es darum, eine Handvoll progressiver Ideen und Visionen zur Disposition zu stellen, die die Lebensbedingungen der Menschen in Österreich verbessern. Die erfolgreiche Kommunikatorin linker Themen, Alexandra Ocasio-Cortez, hat erst kürzlich ihre Regeln getwittert: Be bold, be specific, don't flinch. Sei visionär, sei spezifisch, schrecke nicht zurück.

Man muss aber nicht über den großen Teich schauen. Die Lösung für die Probleme der Sozialdemokratie ist auch bei STS zu finden: A Meinung hab'n, dahinter steh'n. Die Marke ist angeschlagen, die Basis demotiviert und die Glaubwürdigkeit fast verspielt. Aber die Bedingungen für einen erfolgreichen Wahlkampf waren gleichzeitig noch nie so gut. (Yussi Pick, 4.6.2019)