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Die Grundrechte-NGO Epicenter Works kritisiert die Ansicht des Generalanwalts heftig: Sie würde eine Einschränkung der Meinungs- und Netzfreiheit bedeuten.

Foto: Reuters

Facebook kann gezwungen werden, sämtliche die Ehre verletzenden Kommentare selbst zu suchen. Diese Ansicht vertrat der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Maciej Szpunar, am Dienstag in einem Rechtsstreit zwischen Facebook und der früheren Grünen-Chefin Eva Glawischnig. Das EU-Recht regle aber nicht, ob Facebook gezwungen werden kann, die fraglichen Kommentare weltweit zu löschen.

"Grüne: Mindestsicherung für Flüchtlinge soll bleiben"

In dem Verfahren geht es um einen Artikel auf einer Facebook-Seite, auf der neben einem Foto Glawischnigs ein Begleittext ("Grüne: Mindestsicherung für Flüchtlinge soll bleiben") veröffentlicht wurde. Auf dieser Facebook-Seite wurden beleidigende Äußerungen gepostet, unter anderem wurde Glawischnig als "miese Volksverräterin" bezeichnet. Der Beitrag konnte von jedem Facebook-Nutzer abgerufen werden.

Der Oberste Gerichtshof hat den Fall an den EuGH verwiesen. Er will wissen, ob Facebook als Host-Service-Provider verpflichtet werden kann, nicht nur konkret beanstandete beleidigende Äußerungen zu löschen, sondern auch weltweit nach inhaltsgleichen rechtswidrigen Äußerungen zu suchen und diese zu sperren. Der OGH ersucht den EuGH dazu um Auslegung der EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr. Nach der E-Commerce-Richtlinie darf Host-Providern keine allgemeine Verpflichtung auferlegt werden, die übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Rechtswidrigkeiten zu forschen.

Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr

Aus Sicht des Generalanwalts hindert die Richtlinie einen Plattformbetreiber wie Facebook nicht daran, dass er nach gerichtlicher Anordnung aktiv sämtliche Postings durchsuchen muss, um wortgleiche, als rechtswidrig eingestufte Informationen zu löschen – auch weltweit.

Der Host-Provider dürfe mit der gerichtlichen Verfügung auch gezwungen werden, Beiträge zu eruieren und zu identifizieren, die mit der als rechtswidrig eingestuften Information sinngleich sind, argumentierte der EuGH-Anwalt – wobei der Provider aber nur jene Informationen zu durchsuchen brauche, die von dem Nutzer gepostet wurden, der auch die rechtswidrige Information gepostet hatte.

Nicht bindend

Außerdem hindert die EU-Richtlinie nach Ansicht des Generalanwalts nicht daran, von einem Host-Provider die weltweite Entfernung solcher Informationen zu verlangen. Der EU-Gerichtshof folgt der Meinung des Generalanwalts üblicherweise in vier von fünf Fällen. Seine Stellungnahme ist für die Richter aber nicht bindend.

Glawischnigs Anwältin Maria Windhager (sie vertritt auch den STANDARD in medienrechtlichen Anliegen) begrüßte am Dienstag das Gutachten des Generalanwalts. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass der Gerichtshof den Anträgen des Generalanwalts in seiner Entscheidung folgen wird.

"Generalanwalt Szpunar hat mit seinen heute veröffentlichten Schlussanträgen wichtige Klarstellungen zum Vorgehen gegen Hass im Netz getroffen", so Windhager. "Ich bin sehr froh, dass der Generalanwalt bestätigt, dass Facebook und andere Betreiber sozialer Netzwerke von Gerichten zur dauerhaften und weltweiten Löschung von Hasspostings verpflichtet werden können."

Massive Kritik

Die Datenschützer von Epicenter Works sehen unterdessen eine Gefahr für die Meinungs- und Netzfreiheit. "Es öffnet die Tür für weltweite Uploadfilter gegen Inhalte, die irgendwo als verleumderisch festgestellt wurden", sagt Thomas Lohninger von der Grundrechte-NGO zum STANDARD. "Damit untergräbt der EuGH das Verbot einer allgemeinen Überwachungspflicht aller Inhalte und beweist, wie wenig man am Gericht von Technik versteht. Wir hoffen, die Richter schließen sich nicht dieser Meinung des Generalanwalts an." Facebook sei in der Lage, sich an solche Vorgaben zu halten – kleinere Plattformen würden dagegen vor unüberwindbare Hürden gestellt.

Der Providerverband Ispa begrüßt hingegen, dass der Generalanwalt klare, restriktive Überwachungsvorschriften vorgelegt hat. Jedoch gebe es Bedenken in Bezug auf die weltweite Anwendbarkeit österreichischen Rechts. "Wenn sämtliche Inhalte im Netz gelöscht werden, die gegen irgendeine Rechtsnorm in irgendeinem Staat weltweit verstoßen, dann wäre das Internet wohl sehr bald ein sehr monotoner Raum", sagt Ispa-Generalsekretär Max Schubert zum STANDARD.

So verlockend der Gedanke eines "Jurisdiktionsimperalismus" in einem kleinen Land wie Österreich erscheine, so vorsichtig solle man darüber nachdenken, wie dieser in größeren Volkswirtschaften eingesetzt werden könnte, um das Netz zu kontrollieren. "Wenn man dies durchdenkt und international betrachtet und somit natürlich auch China dieses Recht einräumen will, dann würde dies beispielsweise dazu führen, dass nicht nur in China, sondern nirgends im Internet Informationen zu den Opfern des Tian'anmen-Massakers verfügbar wären", sagt Schubert. (Muzayen Al-Youssef, APA, 4.6.2019)