Die Ökobilanz von Plastikflaschen ist nicht unbedingt schlechter als jene von Glas – welche Faktoren entscheiden, wird in Graz erforscht.

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Wonach greift der umweltbewusste Konsument, wenn er zwischen Ketchup in der Glasflasche und Ketchup in der Kunststoffflasche wählen kann? Selbstverständlich zur Glasflasche. Damit muss er allerdings nicht immer richtig liegen. "Glas ist als Verpackungsmaterial nicht grundsätzlich und in allen Fällen nachhaltiger als Plastik", sagt Rupert Baumgartner, Leiter des neuen Christian-Doppler-Labors für Nachhaltiges Produktmanagement in einer Kreislaufwirtschaft an der Universität Graz.

"Denn Glas ist viel schwerer, und in die Ökobilanz müssen ja auch Faktoren wie Produktion, Transport oder Wiederverwertbarkeit miteinbezogen werden." Glas sei aufwendig in der Herstellung, und auch fürs Recycling wird viel Energie verbraucht. Demgegenüber seien Kunststoffflaschen gut recyclingfähig, wenn sie lediglich aus einem einzelnen Kunststoff bestehen. Sobald es sich aber um ein Verbundmaterial handelt, ist die Wiederverwertung noch schwieriger als beim Glas.

Die Frage der Nachhaltigkeit eines Produkts ist also um einiges komplexer, als der Durchschnittskonsument denkt. Was aber tun, wenn über den Daumen gepeilte Bewertungen ohnehin auf keinen grünen Zweig führen?

Gesammelte Auswertung

"Unternehmen könnten mit ganzheitlichen Nachhaltigkeitsanalysen zuverlässige Informationen zu ihren Produkten liefern und so einen Wettbewerbsvorteil aufbauen und die strenger werdenden Vorgaben leichter erfüllen", ist CD-Labor-Mitarbeiter Josef Schöggl überzeugt. "Auf diese Weise lassen sich die komplexen umweltrelevanten Verkettungen nicht mehr verschleiern, und Greenwashing kann leichter als solches erkannt werden."

Zwar sind heute bereits vereinzelte Nachhaltigkeitsmaßnahmen vorgeschrieben, viele Daten zu Material, Produktionsprozessen oder Transport werden aber noch nicht zur Bewertung genutzt. "Wir wollen Methoden zum Sammeln, Vernetzen und Auswerten dieser Daten entwickeln, damit Unternehmen ohne großen Aufwand erkennen, wo es auf dem Lebensweg eines Produkts Nachhaltigkeitsprobleme gibt", sagt Baumgartner.

Zurzeit ist man von dieser ganzheitlichen Sicht noch weit entfernt. Die Digitalisierung eröffne für eine zuverlässige Nachhaltigkeitsbewertung allerdings neue Möglichkeiten. "Im neuen CD-Labor werden wir untersuchen, was das Internet der Dinge und Big Data für unsere Zwecke leisten können."

Die erforderlichen Mess- und Analysetools entwickeln die Nachhaltigkeitsforscher in Kooperation mit dem Softwareunternehmen iPoint, die Daten werden von den Firmen selbst zur Verfügung gestellt. Wobei auch zu klären ist, ob die bisherigen Aufzeichnungen zu Energiebedarf, Emissionen, Herkunft der Rohstoffe, Arbeitsbedingungen, Transport, Abfall oder Auswirkungen auf die Biodiversität für eine solide Nachhaltigkeitsbewertung überhaupt reichen oder ob noch zusätzliche Informationen erhoben werden müssen.

Leichte Handhabbarkeit

Zu diesem Zweck durchforsten die Grazer Forscher zunächst die wissenschaftliche Literatur zum Thema Kreislaufwirtschaft und listen die aktuellen gesetzlichen Vorgaben in Österreich und EU-weit auf. "Um eine realistische Kriterienliste zu erarbeiten, führen wir daneben auch empirische Erhebungen und Workshops in Firmen durch", berichtet Schöggl.

Das zweite große Forschungsfeld des Labors ist die Produktentwicklung. "Der Designprozess eines Produktes wird bis heute vor allem von Technikern bestimmt, die nur selten auch über die nötige Nachhaltigkeitsexpertise verfügen", sagt Baumgartner. "Wir wollen Softwarelösungen entwickeln, mit denen Nachhaltigkeitskriterien schon im Designprozess, etwa bei der Auswahl der Materialien, mitgedacht werden können."

Eine der großen Herausforderungen dabei: Die Tools müssen trotz der zahlreichen Kriterien und komplizierten Zusammenhänge für die Unternehmen leicht handhabbar sein. "Zu komplexe Werkzeuge in diesem Bereich wirken sich negativ auf die Kreativität aus", so Baumgartner.

Regionaler Apfel vs. Importobst

Um zu verdeutlichen, dass man bei der Beurteilung von Nachhaltigkeit mit "gesundem Menschenverstand" und von Marketingabteilungen gesteuertem Wissen nicht weit kommt, verweist Baumgartner auf die Elektroautos. "Von ihnen scheinen sich viele die Lösung aller ökologischen Probleme zu erwarten." Aber so einfach sei die Sache nicht: Denn E-Fahrzeuge verbrauchen bei ihrer Herstellung aufgrund der für die Batterie benötigten Materialien und Prozesse deutlich mehr Energie als herkömmliche Autos.

Diesen Nachteil können sie nur aufwiegen, wenn der Strom für ihren Betrieb ausschließlich aus nachhaltigen Quellen kommt. Auch die in der Kfz-Industrie zurzeit forcierte Leichtbauweise sei nicht unbedingt der Nachhaltigkeit letzter Schluss. Zwar könne damit Treibstoff eingespart werden, gleichzeitig sei das Material aber komplexer, was das Recyclingproblem vergrößert.

Offenbar gibt es in Sachen Nachhaltigkeit keine einfachen Lösungen. Sogar beim regional produzierten und gekauften Apfel sollte man sich erkundigen, ob er den Winter in einem Kühlhaus verbrachte – "denn dann hat er unter Umständen sogar eine schlechtere Ökobilanz als der Importapfel aus Chile". (Doris Griesser, 9.6.2019)