Das Wiener Volkstheater sucht seit Monaten ergebnislos nach einer neuen Leitung.

Die ungeklärte Zukunft des Volkstheaters sorgt im Haus selbst für Unmut. Das Personal leide unter der Unsicherheit, die nicht zuletzt durch die zeitweilige Aussetzung des Findungsprozesses für die neue Direktion befeuert wurde, erklärt Robert Leithner, Vorsitzender des technischen Betriebsrats.

Leithner, der seit 27 Jahren am Volkstheater arbeitet, findet auch kritische Worte in Hinblick auf die bisherige künstlerische Leitung von Anna Badora: "Wir haben von Anfang an sinkende Zuschauerzahlen, was aber keinerlei Auswirkungen auf die Spielplangestaltung hatte. Wenn ich mir den neuen Spielplan anschaue, sehe ich keinen Kassenknaller oder ein Programm für einen traditionellen Volkstheaterbesucher."

"Extrem kostenintensiv"

Die Ungewissheit sei aufreibend. "Seit vier, fünf Jahren machen wir nichts anderes, als uns selbst zu zerstören. Das hat mit der Auflösung der Werkstätten begonnen." Auch sei man personell ohnehin am Rande der Möglichkeiten.

In der Ära Badora seien die Endproben auf der Bühne erheblich ausgedehnt worden, was einen enormen Druck auf das technische Personal nach sich gezogen habe. "Darüber hinaus ist das extrem kostenintensiv", so Leithner.

"Soziale Verantwortung"

"Was ich in dieser kompletten Diskussion um das Volkstheater vermisse, ist die Verankerung der sozialen Verantwortung in der Ausschreibung der künstlerischen Leitung." Nachsatz: "Die neue Intendanz soll sich hier nicht nur künstlerisch verwirklichen, sie hat auch Verantwortung für 200 Mitarbeiter." Leithner fühlt sich auch vom Eigentümer vernachlässigt: "Ich will nicht glauben, dass der ÖGB als Stifter sich seiner sozialen Verantwortung entziehen möchte."

Die Finanzierung des Theaters war seit jeher ein Dilemma: Lange hatten sich Bund und Gemeinde für eine gemeinsame Wiener Theaterförderung starkgemacht. Noch in den 1990er-Jahren verständigten sich die beiden Subventionsgeber auf ein Junktim: Große Brocken wie das Volkstheater und das Josefstadt-Theater wurden einträchtig gestemmt. Heute hat sich der Bund in Sachen Subventionserhöhung für das Volkstheater (eine Million Euro) abgemeldet.

Notorische Zerstrittenheit

Traditionell zahlte die Gemeinde weit mehr als die Hälfte der aufzuwendenden Mittel. Im Gegenzug wussten sich die Stadtväter und -mütter vor Überraschungen gefeit. Der Bund hielt auch ohne formulierten "Staatsvertrag" seine Zahlungsverpflichtungen ein.

Der Leuchtturmeffekt großer Bühnen wie Volkstheater und Josefstadt auf ein Bundesländerpublikum wurde unterschiedlich eingeschätzt. Anfang der 1990er machte Kulturminister Rudolf Scholten mit einer bemerkenswerten Initiative auf das Förderdilemma aufmerksam. Das alte Rondell-Kino in der Wiener Riemergasse, damals in tiefem Dornröschenschlaf, sollte in ein Off-Theaterhaus umgewidmet werden.

Scholten beabsichtigte, Bundesländergruppen nach Wien zu lotsen, um so das hauptstädtische Publikum in den Genuss von andernorts produzierten Spektakeln kommen zu lassen. Das Vorhaben scheiterte wie so oft an der notorischen Zerstrittenheit der freien Szene.

Als Favoriten auf die neue Direktion werden derzeit zumindest vier Kandidaten gehandelt. "Der Standard" listet sie in Kurzportraits auf:

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Rita Thiele

Foto: Youtube, Theaterpreis Hamburg

Sie zählt zu den erlesensten möglichen Kandidaten für das Wiener Volkstheater. Die Spitzendramaturgin verfügt dank ihrer bisherigen Tätigkeiten als stellvertretende Intendantin – u. a. am Berliner Ensemble, Schauspielhaus Düsseldorf, Schauspiel Köln und derzeit am Deutschen Schauspielhaus Hamburg – über ein Maximum an Leitungskompetenz. Zudem ist sie Wien-Kennerin, war sie doch bereits in der Peymann-Ära ab 1986 Mitglied der Burgtheaterdirektion. Als Jelinek-Spezialistin und -Vertraute könnte sie dafür garantieren, dass die Nobelpreisträgerin die Uraufführungen ihrer Stücke, die sie bis dato rigoros außerhalb Österreichs vergibt (zuletzt Schnee Weiß in Köln), ans Volkstheater bringt. Fraglich bliebe, wie bei einem Fokus auf literarische Klassiker die Abgrenzung zum Burgtheater aussehen könnte.

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Ersan Mondtag

Foto: Thomas Schröder

Er wäre eine mutige Entscheidung mit großem Potenzial. Der Regie-Shootingstar aus Berlin würde dem Vernehmen nach im Team mit einer Dramaturgin einer großen deutschen Bühne antreten. Mit seinen 31 Jahren stünde Mondtag jedenfalls für einen klaren Generationenwechsel: ein entscheidendes Merkmal der Abgrenzung hin zu den anderen konkurrierenden Bühnen, deren Leitungen im üblichen Alterssegment von 50 plus liegen. Neben einem jüngeren Publikum könnte Mondtag, der bürgerlich Ersan Aygün heißt und Kind türkischer Einwanderer ist, aber auch ein vielfältigeres Publikum ansprechen. Mehr Diversität in Führungsebenen ist seit Jahren ein Ansinnen der Politik. Mondtag ist ein ästhetischer Revolutionär, hat ein Händchen für Stoffe und mit Olga Bach eine vielversprechende junge Dramatikerin an der Hand.

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Kay Voges

Foto: Stadt Dortmund

Er ist in Österreich ein unbeschriebenes Blatt und wäre ein Überraschungskandidat. Dabei hat der Regisseur und Noch -Intendant am Schauspiel Dortmund (bis Sommer 2020) bereits Anerkennung erworben. Seine Inszenierung von Die Borderline Prozession wurde 2017 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Voges steht für ein experimentelles Theater, das neue Technologien einbindet. Um fit fürs digitale Zeitalter zu sein, hat er gemeinsam mit Alexander Kerlin, der wiederum als Dramaturg ans Burgtheater kommt, in Dortmund die Akademie für Theater und Digitalität gegründet; die Intendanz gibt er dennoch auf. Er will ein größeres Haus. Voges wird auch mit einigem Zuspruch für die heißbegehrte Berliner Volksbühne gehandelt. Auch Hamburg oder München würden ihm gefallen. Ob es auch Wien sein darf?

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Thomas Gratzer

Foto: APA/Neubauer

Er ist einer der heimischen Favoriten und hat vor allem: Führungskompetenz. Er hat das Rabenhof-Theater zu einem kleinen Wiener Stadttheater hochgejazzt. Dessen Protagonisten sind Leuchtfiguren eines kabarettistischen Volkstheaters, das die Fahne des Boulevards schwenkt. Macht Gratzer als Direktor das Rennen, könnten uns prächtige Stefanie-Sargnagel-Uraufführungen blühen oder große Ernst-Molden-Singspiele. Auch wenn der 57-Jährige derzeit jede Festwochen-Premiere besucht und auch sonst ein veritabler Theatergeher ist, so fehlt ihm doch der Zugriff auf ein inter nationales Netzwerk von Schauspielern und Regisseuren. Herzstück des Hauses wird aber das Ensemble sein. Hilft eine Doppelspitze, Kompetenzen zu bündeln? Im Umgang mit dem Budgetdilemma hätte Gratzer wohl findige Ideen. (afze/poh/APA, 4.6.2019)