Jetzt ist die schöne Zeit vorbei", brummte vor ein paar Jahren ein alter Herr, während er sich ein paar Kästchentüren neben mir aus seiner Altherrenbadehose schälte. Es war Mitte Juni, der Sommer war gerade erst im Begriff, groß zu werden, und der Mann hatte schlechte Laune.

Wie in allen Wiener Sommerbädern beginnt auch im Ottakringer Kongressbad am 2. Mai die Saison. Aber abgesehen von ein paar Profis und einer Runde unerschrockener Seniorinnen hatten wir in den vergangenen Wochen das städtische "Schwimm-, Sonnen- & Luftbad" (so steht es über dem Eingang) für uns allein. Wer geht schon bei zehn Grad Lufttemperatur ins Freibad? Doch mit den ersten heißen Tagen war das Bad plötzlich gut besucht.

In den hölzernen, schwedenrot gestrichenen Umkleidehäusern mit den knallgelben Kästchen roch es auf einmal nicht mehr kühl nach Winter und der letzten Nacht, sondern bereits am Vormittag aufgewärmt, stickig, nach Schweiß und Sonnencreme. Der Betonboden unter den nackten Füßen: warm und nass. So viele Badegäste, Kabinenparty wie bei Skero, geht scho, gemma!

Christoph Wurmdobler im "Konge".
Foto: Christoph Wurmdobler

Das "Konge" ist ideal zum Schwimmen, ein Ort der kurzen Wege: Gleich beim Eingang sind die Umkleiden, direkt daneben das 50-Meter-Becken, das in den 1920er-Jahren, als das Bad errichtet wurde, sogar ein 100-Meter-Becken war. Weiter bin ich selten gekommen, Sonnen- und Luftbäder sind für Leute mit mehr Freizeit und weniger empfindlicher Haut, das Buffet auf dem Hügel kenne ich nur aus der Ferne. Die Klammer meiner im Idealfall täglichen Schwimmroutine bildet das hölzerne Umkleidehaus, das sich im Laufe des Sommers aufheizt wie der Rest der Stadt.

Ich bin kein Nerd

"Kästchen?", fragt die Frau am Eingang, obwohl sie meine Antwort kennt, ich bin ja dauernd da. "Bitte", sage ich geduldig und hoffe, den Schlüssel für einen Spind mit ungerader Zahl zu bekommen. Es gibt obere und untere Kästchen, die obere Reihe hat ungerade Zahlen auf den Türen; fast zehn Jahre habe ich gebraucht, um draufzukommen. Ich bin kein Nerd, aber die oberen Kästchen sind bequemer, weil man sich nicht bücken muss.

Erst also Schlüssel, dann Umziehen, was Anfang Mai wegen der Winterklamotten mehr Zeit in Anspruch nehmen kann als Mitte August. Mitte August dauert Umziehen etwa genauso lange wie nach dem Versperren des Kästchens das schwarze Textilband mit dem Schlüssel einhändig am linken Handgelenk zu befestigen. Zum Saisonstart sind die Bänder noch neu, was es leichter macht. Mitte August sind sie schon arg ausgefranst und weich, sodass man das Ende kaum in den Verschluss einfädeln kann. Und nass, weil vielleicht schon jemand vorher damit im Wasser war.

Im Kongressbad in Wien-Ottakring findet Christopher Wurmdobler im Sommer seine zweite Heimat.
Collage: Magdalena Rawicka

Also Armband dran, raus zum Schwimmen, nach 20 Längen wird es fad, 30 sind mein Maximum. Dann unter die Dusche und zurück in die rote Hütte. Erstaunlicherweise kennt mein Kurzzeitgedächtnis – ICH BIN KEIN NERD! – jedes Mal die aktuelle Kästchennummer (heute: 181). Abtrocknen, anziehen, fertig. Am nächsten Tag beginnt alles wieder von vorn. "Kästchen?", fragt die Frau am Eingang.

Neulich habe ich zum ersten Mal einen Schlüssel mit ungerader Nummer verlangt. Ich werde alt. Aber die schöne Zeit ist noch lange nicht vorbei. (Christopher Wurmdobler, RONDO, 10.6.2019)