Wolodymyr Selenskyj, neues Staatsoberhaupt der Ukraine, holt sich seine Antrittsumarmung bei Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (rechts) ab.

Foto: EMMANUEL DUNAND / AFP

Fragen unerwünscht: Bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf eine gemeinsame Pressekonferenz mit Kommissionschef Jean-Claude Juncker verzichtet und nur das Verlesen einer gemeinsamen Erklärung mit Ratspräsident Donald Tusk anberaumt, was prompt zu Beschwerden führte: "Erste Visite des ukrainischen Präsidenten und keine Möglichkeit für Medien, Fragen zu stellen", klagte Radio-Liberty-Reporter Rikard Jozwiak in seinem Blog.

Die Distanz zur Presse könnte ein Indiz für die Unsicherheit des frisch angelobten Präsidenten sein. Selenskyj ist als Schauspieler kameraerprobt, auf der politischen Bühne allerdings ist er nach wie vor Neuling. Dass ihn die erste Auslandsreise nach Brüssel führt, bewertet der Politologe Roman Bortnik immerhin als klares Zeichen dafür, dass er dem prinzipiellen Kurs zur Westintegration der Ukraine treu bleibt. Beim Handshake mit Juncker versicherte er dann auch halb im Scherz diesem, "ein besserer Freund" als sein Vorgänger Petro Poroschenko zu sein.

Im Wahlkampf hatte Selenskyj versprochen, eine Mitgliedschaft der Ex-Sowjetrepublik in der EU weiter anzustreben. Über den Beitritt zur Nato hingegen sollen die Ukrainer bei einem Referendum abstimmen, wobei er es als seine Aufgabe beschrieb, "den Menschen zu erklären, dass sie (die Nato, Anm.) kein Alligator ist, der uns Ukraine auffressen will, sondern dass sie wirklich für die Sicherheit des Landes nötig ist". Seine Gegner hatten trotzdem die Kontinuität des Kurses unter Selenskyj in Zweifel gezogen. Auch in Europa gab es leise Zweifel. Diese will Selenskyj mit seinem Besuch zerstreuen.

Erste Signale

Tatsächlich hat der Präsident mit seiner Amtseinführung bereits einige lautstarke Ankündigungen zum politischen Umbau der Ukraine getätigt. Dies betrifft allerdings vor allem die Innenpolitik, die er kräftig umkrempeln will. In anderen Fragen hingegen bleibt vieles im Unklaren – so zum Beispiel auch, welche Strategie er im Donbass und auf der Krim verfolgt.

Ebendiese Themen sollen Gesprächsthema bei seinem Brüssel-Besuch sein. Selenskyjs Pressesekretärin Julia Mendel erklärte, dass der Präsident sich für die Rückgewinnung der Krim bereits eine Strategie zurechtgelegt habe. "Denken Sie nicht, dass die neue Administration die Krim vergessen hat", sagte sie. Einzelheiten wollte allerdings auch sie nicht verraten, weil die "Beschlüsse sehr sensibel" sein könnten. "Die Krim gehört zur Ukraine", machte Mendel lediglich das grundsätzliche Beharren Kiews auf Rückübertragung der 2014 von Russland annektierten Halbinsel deutlich. Kiew will sich mit dem Besuch bei seinem weiteren Vorgehen die Unterstützung des Westens versichern.

Was den Frieden im Donbass betrifft, den Selenskyj selbst bei seiner Antrittsrede als Priorität genannt hat, ist die Wiederbelebung des Normandie-Formats notwendig. Dazu gab es bisher widersprüchliche Angaben. So hatte Kiew ein neues Treffen im Juli in Aussicht gestellt, Moskau aber blockte ab. Bisher habe es dazu keine Verhandlungen gegeben. Die Ukraine müsse zudem "zunächst ihre Hausaufgaben machen" und sowohl ihre Gesprächsposition formulieren, als auch die Delegation formieren, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag. Daher sei es für die Nennung irgendwelcher Termine viel zu früh, kanzelte er entsprechende Vorschläge ab.

Wenig Bewegung

Auch der von Selenskyj angestoßene umfassende Gefangenenaustausch ist noch nicht in Bewegung gekommen. Immerhin hat Selenskyj nun Ex-Präsident Leonid Kutschma zurück in die ukrainische Verhandlungsgruppe für den Minsker Prozess zurückbeordert.

Grundsätzlich hat Moskau diesen Personalwechsel zwar goutiert, doch im Kreml stößt die verstärkte Kooperation der USA mit der Ukraine auf Widerwillen. Die Ernennung der Ukraine zum wichtigsten Partner der USA außerhalb der Nato sei ein Schritt zur Verschlechterung der Sicherheitslage, schimpfte Russlands Vizeaußenminister Alexander Gruschko. Das sei "ein weiteres Signal an die Kriegspartei in Kiew" und diene damit der Errichtung "zusätzlicher Barrieren bei der Realisierung des Minsker Abkommens", sagte der Diplomat. (André Ballin, 4.6.2019)