Wer an der Spitze der SPÖ steht, kann zunächst nichts an den grundlegenden soziologischen Gegebenheiten ändern. Aber es wäre schon ein Anfang, mehr Professionalität in den Laden zu bringen.

APA/HELMUT FOHRINGER

Es war einmal eine Zeit, liebe Kinder, da herrschten in Österreich zwei große Parteien, die hatten zusammen über 90 Prozent. Die Schwarzen stellten von 1945 bis 1970 durchgehend den Bundeskanzler, die Roten von 1970 bis 2000. In den 20 Jahren seither wechselte es so alle paar Jahre. Es sind neue Parteien dazugekommen, die Grünen und die Neos mit um die zehn Prozent. Die Freiheitlichen kamen zuletzt auf so um die 25 Prozent.

Die Roten und die Schwarzen waren echte "Volksparteien". Das heißt, sie umfassten jeweils sehr wesentliche Teile der Gesellschaft. Heute ist das sehr viel anders. Die ÖVP ist noch eine Volkspartei, weil Sebastian Kurz sie wieder auf über 30 Prozent gebracht hat (und sie vielleicht in die Nähe von 40 Prozent bringen wird). Sie ist aber eigentlich keine Partei mehr, sondern eine messianische Bewegung einer einzelnen Führerfigur.

Die SPÖ hingegen ist fast keine Volkspartei mehr. Sie hat in ihren ursprünglichen Milieus stark verloren. Die Arbeiter sind massenweise zur FPÖ übergelaufen. Bei der EU-Wahl wählten Arbeiter zu 50 Prozent FPÖ, zu 25 Prozent ÖVP und zu 17 (!) Prozent SPÖ. Es gibt zwar eine neue Bildungsschicht, die ihr Entstehen großteils der emanzipatorischen Politik der SPÖ verdankt. Sie wandert aber immer wieder zu den Grünen ab. Es bleiben die Pensionisten.

Die Prognose für die SPÖ ist nicht gut, weil erstens die soziokulturelle Entwicklung gegen sie läuft und zweitens Pamela Rendi-Wagner das politische Handwerk nicht beherrscht. Eine so einschneidende Entscheidung wie die Abwahl von Sebastian Kurz wurde nicht erklärt, nicht kämpferisch vorgetragen, daher nicht in einen Erfolg umgesetzt.

Volksparteien unter Druck

Die Sozialdemokratie scheint derzeit nichts richtigmachen zu können. Noch stärker ist das ja in Deutschland spürbar, wo die SPD bei den Europawahlen weit unter 20 Prozent und hinter die Grünen gefallen ist. Intern wird in der SPÖ seit längerem diskutiert, ob die Arbeiter oder "der kleine Mann" von der FPÖ wieder zurückzuholen sind. Nicht unwichtige Persönlichkeiten in der Partei sagen dazu: eher nein. Andere meinen, man solle sich auf die mindestens so wichtigen Wahlverweigerer konzentrieren.

Ibiza-Gate hat der FPÖ kaum geschadet – so lautet die konventionelle Weisheit. Aber die FPÖ wurde bei der Europawahl auf jenen Kern von Wählern zurückgeworfen, die mit Argumenten von "politischer Kultur" nicht zu beeindrucken sind.

Allerdings hat die dänische Sozialdemokratie derzeit mit einem Migrationskurs Erfolg, der sich nicht mehr von dem der Rechtspopulisten unterscheidet. Ob das auch in Österreich funktioniert, ist zu bezweifeln, denn das Thema wurde nicht nur von der FPÖ, sondern auch von Kurz okkupiert.

Die Volksparteien stehen in ganz Europa unter Druck. Sebastian Kurz hat daraus den Schluss gezogen, seine Partei in eine messianische Bewegung umzubauen. Aber das ist aus verschiedenen Gründen kein nachhaltiges Projekt. Wer an der Spitze der SPÖ steht, kann zunächst nichts an den grundlegenden soziologischen Gegebenheiten ändern. Aber es wäre schon ein Anfang, mehr Professionalität in den Laden zu bringen. (Hans Rauscher, 4.6.2019)