Kinder müssen lernen, dass sich ein Tier nicht selbst tötet, zerteilt und in Cellophan einschweißt.

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Schweine sammeln Zweige und Stroh, um Nester für ihre Ferkel zu bauen. Sie galoppieren, spielen Fangen, suhlen sich im Schlamm, um sich zu pflegen und zu kühlen. Nie würden sie aus freien Stücken im eigenen Kot liegen. Sie sind agil, gesellig und haben starke Mutterinstinkte. Ihre hohe Intelligenz lässt sie voneinander lernen, ihr Geruchssinn ist feiner als jener der Hunde. Von Menschen lassen sie sich trainieren und noch lieber am Bauch kraulen. Bei guter Gesundheit leben sie bis zu 25 Jahre.

Norbert Hackl beschäftigen die Bedürfnisse der Schweine seit 20 Jahren. Seine Eltern betrieben konventionelle Tiermast, er selbst sattelte in Burgau in der Steiermark auf biologische Landwirtschaft um und entließ seine 600 Schweine ganzjährig in die Freilandhaltung. Mit ihren Ferkeln teilen sie sich eine 300.000 Quadratmeter große Weide. Hackl verarbeitet sie vom Schwanz bis zum Rüssel. Gastronomen nehmen ihm nicht nur Edelteile, sondern das ganze Schwein ab. Privatkunden lassen sich das Fleisch unter der Marke Labonca quer durch Österreich gekühlt mit der Post schicken.

Schnitzel als Luxus

"Natürlich hatte ich Zweifel, ob wir das finanziell stemmen", sagt Hackl. "Das ist kein Hobby-Betrieb, wir müssen davon leben. Aber ich wusste, es ist der richtige Weg." Von Beginn an öffnete er seinen Hof für Besucher. "Die Leute sehen unsere Tiere und diskutieren nicht über den Preis." Es seien vor allem Familien, die ihren Fleischkonsum drosselten, dafür Wert auf Qualität legten. Für sie sei Fleisch kein Muss, das drei Mal täglich auf den Teller gehöre, sondern Luxus, den man sich zwischendurch gönne. "Es ist Fleischkonsum, wie er von der Natur eigentlich vorgesehen wurde."

Gesellig, verspielt, fürsorglich und intelligent: Bei guter Gesundheit leben Schweine bis zu 25 Jahre.
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Hackl hält nichts davon, Tiere zu vermenschlichen. Was in Österreich als artgerechte Tierhaltung verkauft werde, stößt dem Landwirten jedoch bitter auf. In engen Kastenständen zerdrücken Schweine ihre Ferkel, der Platzmangel mache sie aggressiv, sagt er. Und wenn Ferkel einander die Schwänze abbeißen, dann liege das an fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten. Ein alter Fußball oder eine Kette mit Holzprügel, die als Spielzeug dienen sollen, sei für die intelligenten Tiere zu wenig.

Biorichtlinien, die Schweinen etwa nur bedingt mehr Platz einräumen und den Stress des Transportes zum Schlachthof nicht ersparen, greifen aus Hackls Sicht zu kurz. Auch viele Tierwohl-Siegel, die besseres Futter als reines Soja versprechen, würden ihrem Namen nicht gerecht. Denn die Industrie habe das Schwein nun einmal als gewinnbringende Supersau auserkoren und setze seither alles daran, sie möglichst effizient zu produzieren. "Daran wird sich nichts ändern, so lange Konsumenten vorgegaukelt wird, dass Schnitzelfleisch um fünf bis acht Euro das Kilo zu haben ist."

Fünf Millionen Schweine

7,5 Millionen Schweine werden jährlich in Österreich geschlachtet, 2,5 Millionen davon importiert, verarbeitet und weltweit exportiert. Weniger als drei Kilo Futter ergeben ein Kilo Schwein. Zwei Drittel der Produktionskosten entfallen aufs Fressen. Sechs Mal in ihrem Leben werden Sauen belegt. Jeder Wurf bringt bis zu 15 Ferkel. Sie werden ohne Betäubung kastriert, ihre Schwänze kupiert.

220 Tage auf 0,7 Quadratmeter Boden währt das Leben des konventionellen Mastschweins. Dann ist es 160 Euro wert. Eine Sau, die ein Jahr lang wachsen darf, gilt aufgrund der höheren Kosten als ebenso unverkäuflich wie ein Hendl, das zwei Monate braucht, ehe es schwer genug für die Bratpfanne ist. Das Ferkel steht auf Spaltböden ohne Einstreu. Zu viel Bewegung bremst das Wachstum. Seine Mutter kennt es aus dem Käfig, den Stall nur von innen. Das erste Tageslicht sieht es meist auf dem Weg zum Schlachthaus. Ammoniak-Dämpfe im Stall belasten die Lungen. Hält es dem Leistungsdruck nicht stand, wird es vorzeitig gekeult.

Tod auf dem Fließband

Es folgt ein Tod auf dem Fließband. Vom LKW über eine Rampe aufs Förderband, ein Aufzug führt nach unten. Knapp zwei Minuten Zeit hat das Kohlendioxid, um die Tier zu betäuben. Ihre schlaffen Leiber fallen Schlächtern entgegen. Einer hängt sie an den Haken, der andere sticht zu. 250 Mal in der Stunde. Auch hier zählt jeder Cent.

Hackl schlachtet seine Schweine in ihrer natürlichen Umgebung auf der Weide. Doch Futter wie gemischtes Getreide, Heu, Ölkuchen und Pferdebohnen, freies Abferkeln und Auslauf wie die Narkose bei der Kastration verteuern die Preise eklatant. Gut das Dreifache ist für Schweinernes in Bioqualität zu bezahlen.

220 Tage währt das Leben eines konventionellen Mastschweins. Eine Sau, die länger wachsen darf, ist nahezu unverkäuflich.
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Schweine halten viel aus – weit mehr als etwa Rinder, die bei schlechter Behandlung aufhören zu wachsen. Und je widriger die Umstände, desto mehr Energie investieren sie in ihre Fortpflanzung, sagt Klaus Dutzler, ORF-Journalist, Gastronom und Landwirt. Krankheiten würden gar nicht erst zugelassen. Eine Sau zu therapieren, habe für die Industrie keinerlei Wert. Mit den Kosten einer Operation könne ein Landwirt schließlich ein Jahr lang seinen Fleischkonsum finanzieren. "Ein pervertiertes System."

Bio für Bobos?

Dutzler verarbeitet in Rossleithen in Oberösterreich jährlich 60 Bioschweine, ein Dutzend hält er selber. Sein Stolz sind seltene Rassen, die auf Weiden rund um den Gleinkersee in der Erde wühlen. Dutzler erzählt von Ferkeln, die Fangen spielen und sich gegenseitig Steckerl abjagen. Muttertiere beruhigten ihre Ferkel mit sanftem Grunzen. Die Qualität ihres Fleisches habe allein schon durch die viele Bewegung und den fehlenden Stress nichts mit jenem aus Massentierhaltung gemein.

Dass große Mäster für den Eigenbedarf vielfach ein paar Tiere fernab der rigiden Bedingungen der Massentierhaltung aufziehen, zeige, wie sehr sich die Branche verrannt habe. Bio ins Eck der Bobos zu drängen, hält er für grob fahrlässig. "Nutztierhaltung zählt zu den weltweit zentralen Themen. Und sie wird es noch mehr, je stärker der Fleischkonsum in Asien steigt."

Betriebe wie Labonca von Hackl zeigten, dass es auch anders geht. Aber dieses Fleisch hat seinen Preis, sagt Anka Lorencz, Chefin der Bundesinnung des Lebensmittelgewerbes der Wirtschaftskammer. Umfragen zufolge seien zehn bis 15 Prozent der Konsumenten bereit und finanziell dazu in der Lage, mehr Tierwohl höher abzugelten. "Der Rest hätte es zwar gern, zahlt dafür aber nichts. Alle würden Tiere am liebsten zu Tode streicheln – aber nur wenn es nicht mehr kostet."

Millionen Euro fließen in die Biowerbung. Der Absatz an entsprechendem Fleisch bleibt mager.
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Lorencz sieht Millionen Euro in Biowerbung fließen. Doch der Absatz an biologischem Fleisch bleibe mager. Bei Schweinernem stagniert er auf zwei Prozent. In der Gastronomie ist er praktisch nicht existent. "Daran werden noch so viele sprechende Ferkel nichts ändern." Koste Fleisch in der Theke eines Supermarkts weniger als eine Orange, sei was faul am System, sagt Lorencz. An ein Ende der überzogenen Rabatte glaubt sie dennoch nicht. "Der Handel ist in einer Pattsituation. Die Geister, die er rief, wird er so schnell nicht los."

Fleischeslust wächst

Die Österreicher verzehren jährlich fünf Millionen Schweine, 63 Kilo Fleisch pro Kopf, erhob die Statistik Austria. 37 Kilo wiegt der Verbrauch an Schweinefleisch. Zwar konsumieren vor allem jüngere Generationen weniger tierisches Protein. Einstige Klassiker wie Brüh- und Knackwürste, Polnische, Extra- und Pikantwurst kommen bei ihnen seltener auf den Tisch. Europaweit belegt Österreich rund um Schnitzel und Würstel jedoch weiterhin einen Spitzenplatz. Und der weltweite Bedarf an Fleisch steigt massiv.

Es sind vor allem aufstrebende Wirtschaftsmächte wie China, in denen sich auch die Landbevölkerung nicht mehr mit Reis zufrieden gibt. Tierisches Protein spielt bis 2050 eine immer gewichtigere Rolle, prognostiziert die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen: Wer es sich leisten kann, ernährt sich von Fleisch.

7,5 Millionen Schweine werden jährlich in Österreich geschlachtet. Sie sind Spielball der internationalen Wirtschaft.
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Helmut Dungler, Gründer der Tierschutzorganisation Vier Pfoten, sieht drei Verlierer: "Bauern, die aufgrund massiven Preisdrucks nicht gerecht entlohnt werden. Tiere, die zu Produktionsmitteln degradiert werden. Und Konsumenten, denen etwas vorgespielt wird, das nicht der Wahrheit entspricht. Dieses System ist zum Scheitern verurteilt." Landwirte etwa verdienten an Schweinen nicht mehr als vor 20 Jahren. "Österreich hat es nicht geschafft, einen eigenen Preis zu etablieren. Die Branche steht kraftlos mit dem Rücken zur Wand."

"Belügen uns selbst"

Als Vorbild zieht Dungler Legehennen heran: Ein österreichisches Ei kostet derzeit drei Mal so viel wie vor 20 Jahren, ein Preisniveau, an das sich Konsumenten gewöhnten. Käfige sind verboten, ein Drittel der Frischeier entstammt Freiland- und Biohaltung, mehr als 90 Prozent des Eigenbedarfs deckt Österreich selbst.

Die Fleischindustrie könne diese Entwicklung nicht kopieren, aber als Anstoß nehmen, sagt Dungler, der echte Landwirtschaftspolitik hierzulande vermisst. "Wir verwalten hier offenbar nur Gelder aus Brüssel." Österreich verkaufe sich als Feinkostladen, produziere aber vielfach zu den gleichen Bedingungen wie andere EU-Länder. "Damit belügen wir uns selber." Konsumenten will er nicht zu viel Verantwortung aufbürden, die Welt zu retten, dürfe nicht ihnen überlassen bleiben.

Weltweit steigt der Bedarf an tierischem Protein. Vor allem in Asien wächst der Appetit auf Fleisch.
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Denn das Schwein ist Spielball der internationalen Wirtschaft. Im Konzert großer Fleischnationen spielt Österreich die dritte Geige. Deutschland, Holland, Dänemark und Polen dominieren die Branche. Ihre Exportbewegungen bestimmen Angebot und Nachfrage, ihre Preise schlagen ungebremst auf Österreich durch. Werden Schweine in China aufgrund von Seuchen wie der Schweinepest knapp, drehen sich die Handelsströme rasant gen Osten – mit der Folge, dass sich ihr Fleisch infolge der Verknappung auch hierzulande verteuert.

Stall als Blackbox

Was lehrt der Blick in die Vergangenheit? In der Jungsteinzeit war das Tier Beute und Nahrungsgrundlage der Jäger und Sammler, erzählt Ernst Langthaler, Experte für Ernährungs- und Agrargeschichte an der Kepler Universität Linz. Mit dem Übergang zur Landwirtschaft änderte sich das Verhältnis grundlegend: Das Tier zog den Pflug, wurde zur Energiequelle. Getreide gewann in der Ernährung an Bedeutung, Fleisch wurde rare Ausnahme. Erst die Industrialisierung machte es mit dem Aufstieg des Bürgertums zum Statussymbol. "Es signalisierte Stärke und Wohlstand."

Ein Massenphänomen wurde der Fleischkonsum in Europa erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts. "Fleisch zu essen wurde leistbar und Ausweis für mittelständischen Lebensstil." Mit wachsender Massentierhaltung einher gingen riesige Monokulturen für die Futtermittelproduktion und damit der Zugriff auf weltweite Ressourcen. "Europa deckt seinen Fleischkonsum heute auf Kosten anderer Länder." Was das Verhältnis des Menschen zum Tier betrifft, so habe sich in den vergangenen 200 Jahren die Technik dazwischen geschoben, sagt Langthaler. "Haustiere werden verhätschelt, Nutztiere verschwinden hinter der Stalltür in einer Blackbox."

Soziale Spannungen

Entscheidend sei, dass Industrieländer es schaffen, den Verbrauch auf ein vernünftiges Maß zu begrenzen, sagt Langthaler. "Wir sollten nicht nur darüber nachdenken, wie wir die Produktion weiter steigern, sondern wie wir den ressourcenintensiven Konsum von Fleisch einbremsen. Das wäre ein wichtiger Beitrag zur Lösung des Welternährungsproblems."

Fleisch bleibt freilich ein unverzichtbarer Teil der Ernährung, betont Johann Schlederer, Chef der Schweinebörse, die Österreichs Fleischmarkt analysiert. "Wo es sich der Mensch leisten kann, will er es haben. Und ist es nicht gut und günstig vorhanden, drohen soziale Spannungen." Klar sei es vernünftig, dass die Welternährungsorganisation WHO von mehr als drei Fleischmahlzeiten die Woche abrate. Doch zwischen Vernunft und Genuss gebe es Diskrepanzen.

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Seine hohe Fertilität wird dem Schwein zum Verhängnis. Zivilrechtlich gilt es als Sache.
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Dass Nutztiere in Österreichs Ställen leiden, weist er scharf zurück. "Es gibt Gesetze und Vorschriften, die Regeln für Tierschutz werden laufend verbessert, Verstöße sanktioniert." Die urbane Bevölkerung hat aus seiner Sicht von Landwirtschaft jedoch wenig Ahnung, was für Tierschutzorganisationen ein gefundenes Fressen sei. "Die Leute glauben ja, der Schinken wächst im Supermarkt." Konfrontiere man sie mit realen Produktionsbedingungen, führe die Realitätsverweigerung zwangsläufig zu Konflikten. "Viele haben das Bild eines Streichelzoos im Kopf."

Verzerrter Wettbewerb

Konsumenten müsse aber bewusst sein, dass Österreich Teil der EU sei und strengere Auflagen den Wettbewerb verzerrten – was Bauern zusehends aus dem Markt dränge. Eine Pute etwa erhalte in Österreich um ein Drittel mehr Platz als Geflügel im übrigen Europa, rechnet Schlederer vor. Die Folge sei, dass sich ihre Mast stark verteuere und Österreich sich mit ihr nur zu 40 Prozent selbstversorgen könne. Der restliche Bedarf an Putenfleisch werde aus dem Ausland importiert.

In Umfragen sprechen sich die Österreichs durchwegs für mehr Tierwohl aus. "An den Regalen im Handel und der Kasse ist davon aber wenig zu bemerken." Er selbst habe immer wieder versucht, für Landwirte mehr Garantien für Abnahmen und Preise für höhere Standards zu erreichen. "Es gibt sie nicht. Also bauen die meisten dann doch wieder einen konventionellen Stall."

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Konsumenten fordern in Umfragen höheres Tierwohl. Beim Schnitzel allerdings zählt jeder Cent.
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Supermärkte wollen den niedrigsten Preis, keiner will auf Geschäft verzichten, und damit setzt sich die Katastrophenkette in Gang, zieht Fritz Floimayr, Eigentümer des Fleischverarbeiters Gourmetfein, Bilanz. "Betriebe, die überleben wollen, müssen mitziehen. Wobei hier ohnehin keiner mehr was verdient." Manch Forderung der Tierschützer führt für ihn zu weit, etwa rund um das Kopieren von Schweineschwänzen und die Kastration von Ferkeln. Denn das sei mit der täglichen Praxis nicht vereinbar, werde teils auch von Tierschützern dramatisiert. Auch vom Ruf nach veganer Ernährung hält er nichts. Der Mensch sei nun einmal Fleischesser.

Dennoch wäre viel Tierleid seiner Ansicht nach nicht notwendig: "Europa muss es sich leisten können, Tiere zu schützen, auch wenn wir sie essen." Tatsächlich koste Konsumenten höheres Tierwohl nur unwesentlich mehr. Er selbst schreibe seinen Produzenten strenge Kriterien bei der Fütterung und Haltung vor und erlaube Konsumenten eine lückenlose Überprüfung der Fleischherkunft.

Blick über den Tellerrand

Karl Schmiedbauer, Chef des Feinkosterzeugers Wiesbauer und Obmann des Verbands der Fleischwarenindustrie, räumt ein, selbst lange wenig über den Tellerrand geblickt zu haben. "Ich sage es offen: Fleisch war für mich kein Teil eines Tieres, sondern ein Werkstoff, ein Material, das es zu bearbeiten und zu veredeln gilt."

Doch diese Einstellung habe sich in den vergangenen zehn Jahren nicht nur bei ihm, sondern auch bei vielen anderen geändert, sagt er. "Tierhaltung sollte so sein, dass wir uns in den Spiegel schauen können. Schließlich hungern wir ja nicht." Österreichs Landwirte produzieren seiner Meinung nach "vernünftig und herzeigbar", klar sei allerdings, dass sich nicht alles auf einmal verbessern könne.

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"Die Leute glauben ja, der Schinken wächst im Supermarkt", sagt Johann Schlederer, Chef der Schweinebörse.
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Was hat es mit Österreichs Richtlinien zur Nutztierhaltung auf sich? Tierschutz ist im Bundesverfassungsgesetz seit 2014 auf höchster Ebene verankert. Und dieser kann sich auf dem Papier durchaus sehen lassen. Das Wohlbefinden der Nutztiere darf nicht beeinträchtigt werden, geht aus den Paragrafen hervor. Platzangebote sind an diesem Maßstab ebenso wie Klima, Luftzufuhr und Temperatur der Ställe auszurichten.

Gesetzeswidrige Tierhaltung

Zivilrechtlich gilt das Tier aber als Sache, erläutert Erika Wagner, Vorstand des Instituts für Umweltrecht der Kepler Universität. Zwar stehe es unter dem Schutz der Gesetze, in der Praxis nutze ihm das aber wenig. Denn die Tierhaltungsverordnung hebe viele der ihm eingeräumten Rechte wieder auf. "Es ist schön, dass es fortschrittliche Tierschutzstandards gibt", sagt Wagner und erinnert an das Verbot der Käfighaltung für Legehennen. "Doch vieles, was als verwerflich gilt, ist nach wie vor legal." Wagner hält Teile der Tierhaltungsverordnung für gesetzeswidrig. "Sie entsprechen nicht den Vorgaben des Tierschutzgesetzes. Und mit dieser Meinung bin ich als Juristin nicht allein."

Tierschutzverbänden und Ombudsstellen seien jedoch die Hände gebunden: Ihnen stehe es rechtlich nicht zu, die Verordnung vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten – was aus Wagners Sicht ein Manko ist und geändert gehört. "Der Gesetzgeber könnte ein solches Antragsrecht im Verfassungsrang vorsehen, tut es aber nicht."


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Steigt man einer Katze auf die Zehen, schreit die Gesellschaft auf, sagt Klaus Dutzler. Bei Nutztieren werde die Realität ausgeblendet.
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Für Herwig Grimm, Tierethiker an der Veterinärmedizinischen Uni Wien, ist Nahrungsmittelproduktion ohne Tierleid Illusion. "Wir können nicht essen, ohne uns schuldig zu machen." Die Frage sei, wie und in welchem Ausmaß. Er warnt vor einer Welt, in der sich Konsumenten und Hersteller tierischer Produkte gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben. "Erst wenn sich Konsumenten wie Produzenten als Bürger begreifen, die Verantwortung für die Gestaltung von Mensch-Tierbeziehungen übernehmen, wird sich was ändern."

Obelix, Idefix und die Wildschweine

Christian Dürnberger, Philosoph am Messerli Forschungsinstitut der Wiener Vetmeduni, sieht die Gesellschaft in einer Obelix-Situation: Obelix liebe seinen Hund Idefix über alles, jage zugleich aber täglich jede Menge Wildschweine. Bei Fragen rund um die unterschiedliche Behandlung von Tieren komme die Alltagsmoral in Stolpern.

Dürnberger erinnert daran, dass moderne Gesellschaften Themen wie Tod und Sterblichkeit gern ausblendeten. "Sie gelten als unschick, erregen Ekel, man möchte sie nicht täglich vor Augen haben." Und er sieht darin einen der Gründe, warum das Tier hinter dem Fleischprodukt kaum noch zu erkennen sei. Ein halbes Schwein oder ein gefiederter Vogel komme anders als in früheren Zeiten kaum mehr auf den Tisch.

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Ein ganzes Schwein kommt selten auf den Tisch. Vielmehr ist das Tier hinter dem Fleischprodukt kaum zu erkennen.
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Wie Grimm und Dürnberger fordert auch Elisabeth Menschl, Leiterin des Instituts für Philosophie der Kepler Uni, mehr Transparenz. "Wir lieben Tiere und wir essen sie. Der Mensch ist biologisch ein "Allesfresser", Tiere zu töten, ist Teil seines Lebens." Es sei jedoch wesentlich, über das Wie zu reden.

Zumutbare Transparenz

"Wir müssen die Tierhaltung, den Transport und die Tötungsindustrie hinterfragen." Etiketten und Siegel gehörten überdacht, Richtlinien nach Schwachstellen durchforstet, gesetzliche Rahmenbedingungen verändert. Es brauche die Pflicht zum Nachweis und zur Quelle. "Konsum muss nachvollziehbar werden. Und dazu gehört, dass Kinder lernen, dass sich ein Tier nicht selbst tötet, zerteilt und in Cellophan einschweißt."

Steigt man einer Katze auf die Pfoten, schreit die Gesellschaft auf, bei Nutztieren klammern wir die Realität aus, sagt Schweinezüchter Dutzler. Auch er plädiert dafür, dass sich Schüler auf Schlachthöfen ein Bild von industrieller Fleischproduktion machen. "Da spritzt Blut, da zucken Tiere. Das ist nicht lustig. Aber das ist jedem zumutbar, der Fleisch isst." (Verena Kainrath, 10.6.2019)