Cop-Culture legt Wert auf männlich-martialisches Auftreten, um die Gemeinschaft der Kolleginnen und Kollegen vor der widrigen Außenwelt zu schützen.

Foto: Heribert CORN

Im Gastkommentar rät der Sozialwissenschafter und Geschlechterforscher Paul Scheibelhofer der Wiener Polizei nach den jüngsten Vorwürfen zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Thema Cop-Culture. Scheibelhofer erkennt in den bekannt gewordenen Videos Dynamiken einer gewaltfördernden Kultur.

Wie kommt es zu Polizeigewalt? Nach den Vorfällen, die seit dem Wochenende über die Beendigung einer Straßenblockade in Wien publik wurden, wird diese Frage wieder gestellt. Zu ihrer Beantwortung reicht es nicht, einzelne "Bad Cops" zu identifizieren und zu disziplinieren. Vielmehr sollten wir den Blick erweitern und fragen, ob es eine Polizeikultur gibt, die Gewaltdynamiken fördert. Anhaltspunkte für eine solche Auseinandersetzung finden sich in den Berichten und Videos des Polizeieinsatzes, in denen sich laut Heinz Patzelt, Geschäftsführer von Amnesty International, "exzessive Gewalt" dokumentiert.

Eines der Videos zeigt einen Polizisten, der mehrmals mit der Faust auf einen am Boden fixierten Aktivisten einschlägt. Ein anderer Aktivist meldet, dass ihm beim Abtransport die Handknochen gebrochen wurden. Weitere Videos zeigen, wie zwei Polizisten einen Aktivisten unter einen Polizeibus schieben, der daraufhin losfährt und dabei fast den Kopf des Mannes überrollt. Während nun das Handeln dieser Beamten im Fokus der Aufmerksamkeit steht, zeigen die Videos noch mehr. Einige Polizisten sind direkt an den Situationen beteiligt, etwa durch das gemeinsame Fixieren des Mannes am Boden. Andere Kolleginnen und Kollegen beobachten die Szenen und schreiten nicht ein. Stattdessen wenden sie sich ab, bilden schützende Mauern und starren resolut in Richtung der umstehenden Menschen oder versuchen, die Filmaufnahmen zu verhindern.

Schützender Korpsgeist

Doch gemauert wurde nicht nur von den Beamten vor Ort, sondern auch danach von ihren Vorgesetzten. Vom Polizeivizepräsidenten abwärts wird das Verhalten der Beamten als "angemessener Einsatz von Körperkraft" verteidigt – und eine vermeintlich unfaire Berichterstattung kritisiert.

Wie lässt sich das Geschehene verstehen? Wieso kommt es zu der "exzessiven Gewalt"? Warum beteiligen sich andere an den Aktionen und stoppen diese nicht, sondern stellen sich schützend um die Kollegen?

Polizeiforschung kann helfen, darauf Antworten zu finden. So zeigen etwa die Arbeiten von Thomas Nolan in den USA oder Rafael Behr in Deutschland, wie eine spezifische Kultur innerhalb der Polizei Gewaltanwendung fördert und ihre Aufdeckung verhindert. Diese implizit herrschende "Cop-Culture" vermittelt Polizisten klare Bilder von sich und der Welt: Die Gesellschaft wird dabei als grundsätzlich chaotisch begriffen, durchsetzt von gefährlichen Personengruppen. Die Polizei hingegen erscheint als Bollwerk gegen diese als gefährlich wahrgenommene Außenwelt.

Männlich-martialisches Auftreten

Eine solche Polizeikultur hat Auswirkungen auf das Handeln der Polizei und auf den Zusammenhalt der Involvierten. Sie legt ein männlich-martialisches Auftreten nahe, um in Anbetracht erwarteter Gefahr Kontrolle zu behalten und eine übermächtige Position sicherzustellen. Und sie schafft einen Korpsgeist, der rigide Grenzen zwischen Innen und Außen zieht: Hier die Gemeinschaft der Kolleginnen und Kollegen, mit denen man gegen die Gefahren der Außenwelt kämpft, dort die widrige Außenwelt, gegen die man zusammenhält.

Zu dieser widrigen Außenwelt zählen demnach auch jene, die Licht ins Handeln der Polizei bringen wollen, seien es Medien, Disziplinarkommissionen oder Handyfilmer. Der Logik einer solchen Cop-Culture folgend gilt ein Einschreiten bei Übergriffen oder das Melden von gewalttätigen Kollegen als Loyalitätsbruch und Überschreitung der Grenze, die die Gemeinschaft umschließt.

Diese Polizeikultur fördert also Gewalt dadurch, dass sie einerseits aggressiv-martialisches Auftreten als passende Handlungsmaxime nahelegt, andererseits, indem sie auch jene, die selbst gar nicht gewalttätig sind, in ein Schweigekartell verstrickt und sie als Mitwisser aneinanderbindet. Denn wer einmal nicht eingeschritten ist, später nichts gemeldet hat und bei Befragungen angibt, "nichts gesehen" zu haben, um einen Kollegen zu schützen, ist fortan Teil des inneren Kreises der Wissenden und hat selbst etwas zu verlieren, wenn Licht ins Dunkel käme. Diese Cop-Culture schafft Homogenität in der Gruppe, indem sie Neuankömmlingen eine bestimmte Weltsicht vermittelt und entsprechendes (Nicht-)Handeln nahelegt.

Homogene Gruppe

Ob es eine solche Cop-Culture bei der österreichischen Polizei gibt, müsste erforscht werden. Die bekannt gewordenen Videos geben jedenfalls Anlass zu dieser Annahme, wirken sie doch wie lehrbuchreife Verbildlichungen der bekannten Dynamiken: einzelne offenbar gewalttätige Beamte, unterstützt von Kollegen, die ihnen assistieren, statt einzugreifen, umringt von weiteren Polizistinnen und Polizisten, die eine Mauer um die Szene bilden.

Ob nach dem Video Konsequenzen für involvierte Personen folgen, wird sich zeigen. Jedenfalls sollte es Anlass für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Fragen einer gewaltfördernden Kultur innerhalb der Polizei geben. Dafür braucht es aber vonseiten der Polizei mehr Bereitschaft für Selbstreflexion, als die bisherigen Reaktionen erkennen lassen.(Paul Scheibelhofer, 5.6.2019)