Erlangt ohne Verlangen gottgleiche Fähigkeiten: Die zurückhaltende Jean Grey (Sophie Turner) wird in "X-Men: Dark Phoenix" von einem mysteriösen Energiefeld infiltriert.

Foto: Twentieth Century Fox Film Corporation

Wenn es in den ersten Minuten von X-Men: Dark Phoenix zu einem folgenschweren Autounfall kommt, möchte man meinen, dass die diesen März erfolgte Übernahme der Produktionsfirma 20th Century Fox durch Disney bereits ihre Spuren hinterlassen hat. Der Tod von Elternteilen ist schließlich integraler Bestandteil jedes Disneyfilms, der etwas auf sich hält. Und auch die junge Jean Grey landet, nachdem sie eben noch mit ihrer Mama über die Senderwahl im Autoradio streiten konnte, als Waise in der Obhut von Charles Xavier alias Professor X, dem Ziehvater aller integrationswilligen Mutanten.

20th Century Fox

Wer jetzt nur Bahnhof versteht, braucht sich nicht zu grämen. Einerseits ist er oder sie vermutlich nicht Teil der Zielgruppe, andererseits handelt es sich ohnedies um den letzten Teil der 2000 gestarteten Filmfranchise um die Comic-Superhelden aus dem Marvel-Verlag. Fans der Reihe dürfte hingegen einiges noch bekannter vorkommen, als es bei der Unmenge von den Markt überflutenden Superheldenfilmen ohnedies mit jedem neuen Genrebeitrag der Fall ist. Dark Phoenix basiert nämlich auf einer 40 Jahre alten Storyline, die bereits 2006 für X-Men: Der letzte Widerstand mit überschaubarem Erfolg verwurstet wurde. Simon Kinberg, der seit damals die Drehbücher aller Filme über die bunte Mutantentruppe verfasste, hat nun also Besserungsbedarf und gibt daher auch gleich sein Regiedebüt. Das Resultat ist weder der befürchtete Reinfall noch das erhoffte Finale furioso, sondern einfach Massenware der uninteressanteren Sorte.

Wir schreiben 1992

Dabei ist der erwähnte Einstieg atmosphärisch noch gut gelungen, dann wird es aber mit Höchstgeschwindigkeit allzu albern. 17 Jahre sind inzwischen vergangen, wir schreiben das Jahr 1992, und ein havariertes Spaceshuttle treibt im All umher. Auftritt X-Men, denen es mit ihren von Teleportation bis zu Energiestrahlen reichenden Superkräften gelingt, die Astronauten sicher nach Hause zurückzuholen. Die zurückhaltende Jean Grey (dargestellt von Sophie Turner) wird dabei jedoch von einem mysteriösen Energiefeld infiltriert, das ihr gottgleiche Kräfte verleihen, sie damit aber auch in eine tickende Zeitbombe verwandeln soll.

Als wäre das noch nicht Ungemach genug, landet zeitnah noch ein Häuflein heimatloser Aliens auf der Erde, um die außerirdische Energie abzuzapfen und in weiterer Folge Nachmieter der Menschen auf deren Heimatplaneten zu werden. Als deren Anführerin, die auf den schönen Namen Vuk hört, darf eine gachblonde Jessica Chastain mit dem Ausdruck eines frisch aufgetauten Karpfens extraterrestrische Emotionslosigkeit simulieren.

Zentrales Motiv bleibt indes die Orientierungslosigkeit einer jungen Frau mit ungeheurer Macht, die sich zunächst von geliebten Menschen verraten fühlt und später auch noch Schuld am Tod einer mitstreitenden Person trägt. Fragen von Zugehörigkeit und Außenseitertum sind freilich seit jeher zentral für die X-Men, wirklich neue Themen werden nicht angerissen.

Kapitänin Jennifer Lawrence

Der meist sehr präsente Konflikt zwischen Menschen und Mutanten wird in Dark Phoenix jedoch weitestgehend ausgeblendet, hier geht es lediglich um Konflikte innerhalb der mutantischen Community. Zudem ist sich der Film zwar der Bedeutung seiner Heldinnen bewusst (Jennifer Lawrence gibt in der Rolle der Mystique quasi die Kapitänin der X-Mannschaft), am Ende werden aber doch die Männer als die großen Strippenzieher inszeniert – und im Abspann mit James McAvoy als Charles Xavier und Michael Fassbender als Magneto an die erste Stelle gesetzt.

Ebenso konservativ holpert die Handlung mit diversen Streitereien und letztlich dem Zusammenschluss gegen den großen Außenfeind dahin. Statt ironischer Neunzigerjahre-Musik gibt es die bewährte Hans-Zimmer-Dröhnung, und das Überqueren einer New Yorker Straße (Taxis! Busse!! U-Bahn!!!) wird mit großem Ernst als Teil einer wilden Actionsequenz inszeniert. Später werden gepanzerte Zugwagons wie Zahnpastatuben zerquetscht, was ganz nett aussieht, emotional aber auch nicht so richtig mitnimmt.

Wenn Jean Grey ihre zuvor nur stellenweise hervorpulsierende Energie schließlich leinwandfüllend entfesselt, fehlt nur noch ein regenbogenbeschweiftes Einhorn für den völligen psychedelischen Overkill. Damit hätte Dark Phoenix doch noch einen fulminanten Schlusspunkt nach 19 Jahren X-Men setzen können. (Dorian Waller, 6.6.2019)