Wien – Der designierte Burgtheaterdirektor Martin Kušej kann Bilanzen lesen, wie er bei der Programmpressekonferenz am Donnerstag bekannte. Das kann aber auch seine Vorgängerin Karin Bergmann, die das in den letzten fünf Jahren ausreichend bewiesen hat.
Es ist immer noch verlockend, über den Finanzskandal des Hauses Scherzchen zu machen. Dabei will Kušej nach vorn blicken. Der Spielplan, den er mit seinem Team präsentierte, weist tatsächlich klar in die Zukunft. Einiges von den Plänen ist noch nicht plastisch, aber erahnbar. Mit vielen neuen Namen und der Ansage, künftig kein "teutsches Nationaltheater" mehr sein zu wollen, behauptet Kušej einen Neubeginn am traditionsreichen Haus am Ring.
Heißes Eisen: Vielsprachigkeit
Vor allem das Bekenntnis zur Vielsprachigkeit ist der 58-Jährige gewillt peu à peu einzulösen. Es wird in nächster Zeit also die Frage virulent, wie sich die Beziehungen zum deutschsprachigen Dramenerbe lockern lassen und zu wessen Gunsten dies Sinn machen könnte. Entwarnung: Kušej will nicht gleich Kleist und Co ausrangieren. Im Gegenteil: Er selbst wird mit Heinrich von Kleists Drama "Die Hermannsschlacht" im November seine einzige Neuinszenierung vorlegen – mit einem Großaufgebot von 24 Schauspielern. Und sich damit nicht nur mit einem seiner Vorgänger messen, Claus Peymann.
Die einzige für Kušejs Vielsprachigkeitspläne prototypische Produktion wird "Vögel" sein, ein Theaterstück des kanadisch-libanesischen Autors Wajdi Mouawad (in Wien bekannt für "Verbrennungen" am Akademietheater 2007), das den Zerfall einer Familie über drei Generationen verhandelt. Dafür ist das Burgtheater-Ensemble gerade dabei, Hebräisch zu lernen. Die vier Bühnensprachen Deutsch, Englisch, Hebräisch und Arabisch werden deutsch übertitelt.
Geballtes Eröffnungswochenende
"Vögel" ist Teil des geballten Eröffnungswochendes ab 12. September, das mit Ulrich Rasches Inszenierung der "Bakchen" den Anfang macht. Der für sein maschinell angetriebenes, sprachlich hochkonzentriertes Sprechtheater gefeierte Regisseur (in Österreich bekannt seit "Die Perser" bei den Salzburger Festspielen) gibt damit sein Burgtheater-Debüt. Vier eigene Inszenierungen nimmt Martin Kušej vom Residenztheater mit; davon macht am 14. September "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" den Anfang. Es folgen: "Faust" (27. 9.), "Don Karlos" (Oktober) und "Der nackte Wahnsinn" (Dezember).
Regisseure und Regisseurinnen kommen aus insgesamt 13 Ländern, darunter etwa die Belgierin Anne-Cécile Vandalem, die in ihrem Stück "Tristesse" die Mechanismen eiskalter populistischer Politik vorführt. Sie und Shootingstar Anne Lenk, die mit Sally Potters "The Party" am 21. September Premiere hat, sind die beiden Regisseurinnen, die am Burgtheater inszenieren. Das Projekt "Frauen auf die große Bühne" ist bei Kušej also noch ausbaufähig. Am Akademietheater inszenieren indes Mateja Koležnik ("Der Henker") sowie Katie Mitchell ("2020 Oder das Ende", in Koproduktion mit den Wiener Festwochen).
Kay Voges, Thorleifur Örn Arnarsson
Neben alten Bekannten wie Simon Stone ("Die Letzten" nach Maxim Gorki), Oliver Frljič ("Die Hamletmaschine") oder Nikolaus Habjan ("Der Leichenverbrenner") bringt Kušej neue Namen nach Wien: Der seit 2007 in Deutschland tätige isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson wird seine wuchtige "Edda" aus Hannover in Wien vorstellen sowie sich erneut dem "Peer Gynt"-Stoff widmen.
Neue Namen gibt es auch im Doppelpack: Ben Kidd und Bush Moukarzel von der irischen Theatertgruppe Dead Centre widmen sich der "Traumdeutung", das estnische Regieduo Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo Bulgakows "Der Meister und Margarita". Der gerüchteweise für die Volkstheater-Leitung genannte deutsche Regisseur Kay Voges gibt mit der Endzeit-Oper "Dies Irae – Tage des Zorns" ebenfalls sein Wien-Debüt.
71 Schauspieler statt 63
Ihren Einstand an der Burg geben die Regisseure Kornél Mundruczó ("Tosca") und Sebastian Nübling ("This Is Venice" nach Shakespeare). Wobei die Abkürzung "Burg" vom neuen Intendanten bei Strafe (zehn Euro) nicht geduldet wird. 71 Schauspieler statt zuletzt 63 zählt das Burgtheater-Ensemble nunmehr, darunter die Wiederkehrer Birgit Minichmayr, Markus Hering, Tobias Moretti sowie Norman Hacker, Franz Pätzold und Bibiana Beglau vom Residenztheater. Weitere neue: Mehmet Ateşçi (Gorki Berlin), die Isländerin Elma Stefania Agustsdottir, Stacyian Jackson, geboren in Rotterdam. Nicht übersiedeln müssen Florian Teichtmeister (Josefstadt) und Rainer Galke vom Volkstheater. (Margarete Affenzeller, 6.6.2019)