Heimlich aufgenommene Videos von möglichen Korruptionsdelikten sind offenbar seit dem Erscheinen des Ibiza-Videos mit Heinz-Christian Strache en vogue. Vor ein paar Tagen tauchte in Bosnien-Herzegowina eine Schwarzweißaufnahme auf, die den Präsidenten des bosnischen Justizrates, Milan Tegeltija, den Beamten der Sonderpolizei Sipa, Marko Pandža, und den Geschäftsmann Nermin Alešević bei einem Gespräch im November 2018 zeigt.

Es ging darum, dass in einem Gerichtsfall interveniert werden sollte, damit der Prozess schneller vorangeht. In einem zweiten Teil des Videos – allerdings ohne Tegeltija – wird offensichtlich vom Geschäftsmann an den Polizisten Geld übergeben – möglicherweise Schmiergeld für Tegeltija. Der Polizist wurde dienstfrei gestellt.

Zentrale Rolle

Das Video an sich könnte jedenfalls ein Hinweis darauf sein, dass Tegeltija in einen Amtsmissbrauch verwickelt war. Der Vorsitzende des Justizrates hat sich mittlerweile in den Urlaub begeben und weist alle Vorwürfe zurück. Es seien immer wieder Leute mit Anliegen an ihn herangetreten, meinte er. Der bosnische Justizrat hat Zugang zu allen Justizinstitutionen des Landes und besitzt deswegen eine zentrale Koordinierungsfunktion. Allerdings dürfen die Mitglieder im Justizrat – mehrheitlich Richter und Staatsanwälte – im Rahmen ihrer allgemeinen Aufsichtsfunktion keineswegs Einfluss auf individuelle Verfahren nehmen.

Hunderte Protestierende fordern Rücktritte im Justizrat.
Foto: APA/AFP/ELVIS BARUKCIC

Doch obwohl das Verhalten von Tegeltija zumindest untersuchungswürdig ist, wird er von seinen eigenen Kollegen im Justizrat "geschützt". Die Disziplinarkommission – drei Kollegen von ihm – stellte fest, dass keine Maßnahmen ergriffen werden, weil Tegeltija nicht in seiner Funktion als Richter handelte. Anders als die meisten Mitglieder des Justizrats sitzt der Präsident nämlich vollberuflich und nicht nebenberuflich im Justizrat – das Disziplinarrecht für Richter greift also formal nicht. Der Fall offenbart nach dieser Lesart eine Lücke im Disziplinarrecht. Man könnte allerdings auch argumentieren, dass Tegeltija im Justizrat sitzt, weil er Richter ist – und dass das, was für Richter gilt, erst recht für die Mitglieder des Justizrates gelten muss.

Politisch kontrolliert

Die Entscheidung der Kollegen, sich hinter ihn zu stellen, hat ohnehin viel mehr mit bosnischen Verhältnissen zu tun, denn auch der Justizrat ist offenbar von politischen Interessen und Seilschaften kontrolliert, sodass sich viele seiner Mitglieder nicht einmal trauen, moralische Standards einzufordern. Immer wieder ist zu hören, dass Angst und Erpressbarkeit eine Rolle spielen.

Offensichtlich ist, dass die fehlenden Konsequenzen nach dem Skandal dem Ansehen des Justizrates schaden und die Institution untergraben. Die Schwäche der Institutionen ist in Bosnien-Herzegowina ein zentrales Problem. Im Fall Tegeltija wird wahrscheinlich gar nichts passieren, und er wird weiter in Amt und Würden bleiben. Um Schaden von der Institution abzuwenden, wäre es besser gewesen, wenn das gesamte Kollegium zurückgetreten und eine Neubesetzung erfolgt wäre.

Das Pikante an der Causa Tegeltija ist auch, dass nur wenige Tage vor dem Erscheinen des Videos die drei Botschafter von OSZE, EU und den USA ein gemeinsames Schreiben an den Justizrat geschickt hatten, in dem es hieß, dass "man den Eindruck hat, dass der Justizrat bei seinen Entscheidungen von politischen oder anderen Gründen geleitet wird". Dieses Schreiben entstand vor Erscheinen des Videos.

Reformen verlangt

Der Hintergrund: Weil Bosnien-Herzegowina auf der politischen Ebene seit Jahren gelähmt ist, hat die internationale Gemeinschaft begonnen, Reformvorhaben im Justizbereich über den Justizrat vorzuschlagen. So sollten etwa die Bewertungskriterien für die Arbeit von Staatsanwälten und Richtern geändert werden, und es sollte in Zukunft möglich sein, Vermögenserklärungen von Richtern und Staatsanwälten zu untersuchen, um mögliche Schmiergeldzahlungen besser aufdecken zu können.

Doch beide Reformvorhaben wurden durch einige Richter in den vergangenen Monaten torpediert. Dabei stellt sich die berechtigte Frage, welche Motivation dahintersteckt. "Die jüngsten Forderungen nach einer Verringerung der Transparenz und der Qualität der Reformen werfen Zweifel am Commitment der Justizbeamten auf, die Integrität der Justiz zu stärken, und stehen in direktem Widerspruch zu den europäischen Standards", kritisierten deshalb die drei Botschafter in ihrem Brief. Auffällig ist auch der Stau bei den Ernennungen von Richtern und Staatsanwälten, für die der Justizrat zuständig ist. In dem Schreiben der drei Botschafter wurde deshalb moniert: "Die Bevorzugung einiger Ernennungen und die Verschiebung von anderen vermittelt den Eindruck, dass es politische oder andere Gründe gibt, die den Rat bei seiner Entscheidungsfindung leiten."

Fehlende Rechtsstaatlichkeit

Offensichtlich geht es um Widerstand gegen Reformen, das Beibehalten von Positionen und damit um Macht. Es gibt aber auch Stimmen, die Reformen einfordern. Als das Video öffentlich wurde, protestierten hunderte Bosnier vor dem Gebäude des Justizrates und forderten den Rücktritt Tegeltijas. Den Aufruf dazu hatte Sicherheitsminister Dragan Mektić unternommen. Er stellte auch die Frage, weshalb es in Bosnien-Herzegowina, anders als in Österreich nach Ibiza-Gate, nicht zu Rücktritten komme. Der Chef der rechten, nationalistischen, prorussischen Partei SNSD, Milorad Dodik, verteidigte Tegeltija hingegen.

Die fehlende Rechtsstaatlichkeit in Bosnien-Herzegowina ist seit vielen Jahren ein großes Thema – tausende Menschen gingen im Vorjahr auf die Straße, weil die dubiosen Todesfälle von zwei jungen Männern von Polizei und Justiz nicht aufgeklärt wurden. Kürzlich kam auch der deutsche Jurist Reinhard Priebe nach Bosnien-Herzegowina, der in Nordmazedonien vor einigen Jahren durch seine Analysen entscheidende Beiträge zur Wiedereinführung der Rechtsstaatlichkeit getätigt hatte. Priebe besucht im Juli ein zweites Mal Bosnien-Herzegowina in dieser Mission, und im Herbst sollen Diskussionen zu konkreten Maßnahmen geführt werden. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 7.6.2019)