Nachtrab der Kulturgesellschaft: ein Karneval der Hetzmeute in der Halle G im Wiener Museumsquartier.

Sergio Caddah

Wien – Kann ein Schlachthof – auf Portugiesisch "matadouro" – auch etwas Spaßiges an sich haben? Diesen Eindruck jedenfalls vermittelt der brasilianische Choreograf Marcelo Evelin (57) in seinem Stück Matadouro live, das noch bis Freitag bei den Wiener Festwochen gezeigt wird. Die Widersprüchlichkeit dieser Performance macht sie erst einmal schwer verdaulich.

Nach aufrüttelndem Trommeln im Dunkeln entledigen sich acht Figuren auf der Bühne ihrer Kleider. Dafür legen sie Masken an und tragen mit Paketband an die Körper geklebte Macheten. Aus dem Off ist Hundegebell zu hören.

Seltsame Gestalten

Kurz vermischt es sich mit einer Kakofonie, die von den seltsamen Gestalten entfesselt wird und bald in Franz Schuberts Quintett in C-Dur verschwindet. Schmiegsam spielt live das Hugo Wolf Quartett – mit Marta Sudraba als Gast -, und die Performer beginnen im Kreis zu laufen.

Die Szene wirkt wie eine Faschingsparade, deren Teilnehmer eine Wette darüber abgeschlossen haben, wie viele Runden sie drehen können, bevor die Musik zu Ende ist. Menetekelhaft war der Beginn; der Rest kommt als Groteske daher. Erst fällt auf, dass Evelins Performer keine typischen Tänzerkörper haben. Sie repräsentieren die Figuren ganz normaler Leute. Jeder von ihnen trabt auf seine eigene Art dahin: bemüht, untrainiert oder verkrampft.

Eine Affenbewegung

Einige Male macht einer Affenbewegungen nach, ein ein anderer vollführt Überschläge. Masken folgen anderen Masken, Popanze anderen Popanzen. Und weil das nicht im Reigen geschieht, sondern in sturem Laufen, kommt die Logik des Mechanismus ins Spiel. "Masken" und "Mechanismen" führen, auf die Kulturgeschichte gespiegelt, mit konsequenter Regelmäßigkeit zu Massakern.

Matadouro entstand zum Teil aus "Agambens Reflexion über Auschwitz", wird der Choreograf im Programmblatt zitiert. Die Schriften des italienischen Philosophen Giorgio Agamben spülen das Denken über das Menschsein durch die innersten Gewölbe der Kultur. Dort hat Evelin offenbar die Witterung des Grotesken aufgenommen und scheucht etwas davon auf die Bühne.

So gesehen kann das Hundebellen als Anspielung auf den Schluss von Agambens Buch Was von Auschwitz bleibt verstanden werden. Die Kapriolen derer, die in Matadouro live ihren Circulus vitiosus ziehen, erscheinen als Abbild jener Groteske, die der menschliche Vernichtungswille vor aller Augen aufführt. (Helmut Ploebst, 7.6.2019)