Brigitte Bierleins Regierung könnte sich über die wenigen Monate ihrer Amtszeit hinaus um Demokratie und Rechtsstaat verdient machen.

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Für einen Moment, ein paar flüchtige Augenblicke, hatte es so ausgesehen, als wehe ein laues Lüfterl der Toleranz und der Liberalität durch Österreichs Politik: Das Land bekam seine erste Bundeskanzlerin und genau gleich viele Ministerinnen wie Minister in der Übergangsregierung; und Arnold Schwarzenegger brachte Greta Thunberg nach Wien, wo zigtausende großteils sehr junge Menschen friedlich gegen die Klimaerhitzung demonstrierten.

Kurze Zeit später belehrten uns Videos von genau dieser Klima-Demo wieder einmal eines Schlechteren: Das erste zeigte, wie Polizisten jemanden auf dem Boden fixierten und auf ihn einhieben, während der Rest der Truppe angestrengt wegschaute (Corpsgeist!); das zweite, wie der Kopf eines auf dem Boden niedergehaltenen Demonstranten beinahe von einem Polizeiauto überrollt worden wäre. Als wäre das noch nicht schlimm genug, brauchte es wieder Tage, bis die Polizei versprach, die Sache zu untersuchen – und weitere Tage, bis auch die Staatsanwaltschaft der Ansicht war, hier müsse man vielleicht genauer hinschauen.

Abgesehen von dieser sehr langen Schrecksekunde der Behörden fragt man sich: Sind die alle noch bei Trost? Wieso geht die Wiener Polizei so offensichtlich rüde mit jungen Menschen um, die Angst um den Planeten haben? Das ist es nämlich, was die Fridays-for-Future-Generation weltweit auf die Straßen treibt. Und es gibt kein gutes Bild ab, wenn österreichische Sicherheitsbehörden dafür ganz augenscheinlich wenig Verständnis aufbringen und sich, nach offensichtlichen Zeugnissen grober Überforderung, in Message-Control und Abblocken üben.

Medienerlass

Mangelndes Verstehen demokratischer Grundregeln ist hoffentlich nicht das Problem der neuen Kanzlerin und ehemaligen Höchstrichterin Brigitte Bierlein. Hoffentlich war ihr jüngster Medienerlass, wonach die Minister "Zurückhaltung" im Umgang mit Medien üben und vornehmlich nur mit "Fachjournalisten" sprechen sollten, ein einmaliger Anfängerinnenfehler. Kaum hatte man die türkis-blaue Message-Control für beendet gehalten, weht schon wieder ein Hauch von Metternich durch Österreichs Ministerialbürokratie.

"Stellen Sie sich den Medien!", forderten der Presseclub Concordia und die Vereinigung der Parlamentsredakteurinnen und -redakteure zu Recht. Und es spricht für Bierleins Lernfähigkeit, dass sie nur einen Tag später zurückruderte: Selbstverständlich werde es Interviews mit ihr und den anderen Mitgliedern der Übergangsregierung geben – sie wünsche aber keine Inszenierung.

Das allein ist freilich zu wenig. Österreich braucht endlich ein modernes Gesetz für Informationsfreiheit. Viele Regierungen haben bereits versprochen, das Amtsgeheimnis abzuschaffen und das verbriefte Recht der Öffentlichkeit auf Information einzuführen. Noch keine hat es umgesetzt.

Bierleins Regierung könnte sich über die wenigen Monate ihrer Amtszeit hinaus um Demokratie und Rechtsstaat verdient machen. Indem sie beispielsweise der Polizei klarmacht, dass moderne Sicherheitsarbeit nicht darin bestehen kann, juvenile Klimaschützer streng zu arretieren. Oder darin, ein modernes Informationsfreiheitsgesetz auf den Weg zu bringen. Wer auch immer ihr am Ballhausplatz nachfolgt – er oder sie täte sich schwer, solche Initiativen zu übergehen. (Petra Stuiber, 8.6.2019)