Foto: Daniel LEAL-OLIVAS / AFP

London, 09. Jun (Reuters) – Der britische Ex-Außenminister und Favorit für die Nachfolge von Premierministerin Theresa May, Boris Johnson, demonstriert beim Brexit Härte gegenüber der Europäischen Union (EU). Er sagte der "Sunday Times", er würde die vereinbarten Ausstiegszahlungen von 39 Milliarden Pfund (knapp 44 Milliarden Euro) zurückhalten, um bei der EU bessere Konditionen auszuhandeln. "Um einen guten Vertrag zu bekommen, ist Geld ein großartiges Lösungs- und ein großartiges Schmiermittel." Die 39 Milliarden Pfund entsprechen den Verbindlichkeiten Großbritanniens gegenüber der EU. In französischen Regierungskreisen wurde Kritik laut: Sollten Johnsons Pläne umgesetzt werden, käme dies einem Zahlungsausfall von Staatsschulden gleich, hieß es.

Nach Mays Brexit-Vertrag soll das Geld über mehrere Jahre an die EU fließen. Die EU hat mehrfach erklärt, sie werde die Austrittsvereinbarung nicht mehr neu verhandeln.

Aus dem Umfeld des französischen Präsidenten Emmanuel Macron kamen Warnungen vor den Folgen von Johnsons Vorhaben: "Wenn man seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt, verstößt man gegen internationale Zusagen, was einem Zahlungsausfall von Staatsschulden entspricht", sagte eine Macron nahe stehende Person. "Die Konsequenzen daraus sind wohlbekannt."

May war am Freitag offiziell als Vorsitzende der Konservativen zurückgetreten, nachdem der innerparteiliche Widerstand gegen ihre Brexit-Politik zuletzt immer größer geworden war. Ihr Nachfolger in diesem Amt wird auch neuer Premierminister. Bisher haben sich elf Parlamentarier um Mays Nachfolge beworben. Johnson, der für viele Briten das Gesicht der Brexit-Kampagne ist, hat besonders gute Chancen.

Änderungen bei Irland-Frage

Bei der heiklen Frage der irischen Grenze will Johnson ebenfalls Änderungen durchsetzen: Vereinbarungen zur Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitgliedsstaat Irland könnten nur als Teil eines langfristigen Vertrages getroffen werden, sagte er. Um die Grenzen offenzuhalten, hatte May mit der EU eine Notfallklausel ("backstop") vereinbart, die von konservativen Abgeordneten heftig kritisiert wird. Innenminister Sajid Javid, einer von Johnsons Mitbewerbern, will Brüssel an den Verhandlungstisch zurückbringen, indem er die Zahlung von mehreren hundert Millionen Pfund für neue Grenzregelungen anbietet.

Der ebenfalls kandidierende Außenminister Jeremy Hunt sagte, ohne einen Brexit-Deal werde es zu Neuwahlen kommen. "Wenn wir einen Deal erreichen, ist das der einzige Weg, Wahlen zu vermeiden", sagte er "Sky News". Sein Mitbewerber Michael Gove sagte, er könne sich eine Verschiebung des vereinbarten Brexit-Termins 31. Oktober um wenige Tage oder Wochen vorstellen, falls ein Abkommen dann kurz bevorstünde. "Würde es wirklich Sinn ergeben, diesen Prozess wegzuwerfen und zu sagen: 'Weißt du was, wir gehen trotzdem ohne Deal?'", sagte er der BBC.

Welcher der Kandidaten May nachfolgt, soll Ende Juni feststehen. In der ersten Auswahlphase wird das Bewerberfeld in mehreren Wahlgängen nach und nach reduziert. Nach einem Bericht des Senders Sky News stimmen dabei zunächst nur die Tory-Abgeordneten ab. Erst wenn nur noch zwei Kandidaten übrig bleiben, sollen alle rund 160.000 Parteimitglieder per Briefwahl den neuen Vorsitzenden bestimmen. (Reuters, 9.6.2019)