24. September 2008: Abgeordnete besprechen sich in der berüchtigten Plenarsitzung mit ihren Parteichefs Wilhelm Molterer (ÖVP) und Werner Faymann (SPÖ).

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Sollen im Parlament in einem freien Spiel der Kräfte kurz vor den Wahlen Gesetze beschlossen werden, die viel Geld kosten, oder ist das unverantwortliche Politik? Rund um diese Frage ist in Österreich eine interessante Debatte ausgebrochen. Zahlreiche Verbände und Ökonomen haben sich in die Diskussion eingeschaltet und warnen vor einem Geldregen zugunsten der Bürger.

Das Thema ist aktuell. Am Mittwoch und Donnerstag tritt der Nationalrat zusammen, und nach dem Ende der türkis-blauen Koalition gibt es Spielraum für neue Allianzen. SPÖ und FPÖ könnten ebenso gemeinsam Gesetze beschließen wie ÖVP und SPÖ.

Was spricht dagegen, neue Initiativen auf den Weg zu bringen? Dank guter Konjunktur und kalter Progression, also der schleichenden Steuererhöhungen der vergangenen Jahre, ist die Budgetlage vorteilhaft. ÖVP und FPÖ wollten erst vor kurzem eine milliardenschwere Steuersenkung auf den Weg bringen. Allein in den kommenden zwei Jahren sollten Steuern und Abgaben um mehr als drei Milliarden Euro gesenkt werden. Der Plan liegt auf Eis. Laut Wirtschaftsforschern wäre sich das Ganze budgetär gut ausgegangen.

Die Koalition

Im Vorfeld der Nationalratssitzung haben Unternehmer, Großgrundbesitzer und Vermögende vergangene Woche dennoch dazu aufgerufen, sich zurückzuhalten. Die Gruppe forderte via Petition alle Parteien dazu auf, keine Beschlüsse zu fällen, die "mit Mehrausgaben verbunden sind und die allein der Wahltaktik geschuldet sind". Nach der Wahl müssten die Österreicher für solche Wahlzuckerln selbst bezahlen, entweder via Steuererhöhungen oder in Form neuer Sparpakete.

Unterschrieben haben den Aufruf Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer und Georg Kapsch, der Präsident der Industriellenvereinigung. Mit dabei war weiters Felix Montecuccoli, Präsident der Land & Forst Betriebe, Cattina Leitner, Präsidentin des Verbandes der Privatstiftungen, und Martin Prunbauer, Präsident des Haus- und Grundbesitzerbundes.

Fehlender Spielraum

Von Arbeitnehmerseite kam keine Unterstützung. Interessant ist, dass mit Christoph Badelt, dem Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, und Martin Kocher, dem Chef des IHS, zwei der prominentesten Ökonomen des Landes unterzeichneten. Dabei haben Wifo und IHS Anfang Mai noch gesagt, Geld für eine Steuerreform wäre genug da.

Gilt das jetzt nicht mehr? Badelt wie Kocher meinen, dass sie nicht so sehr aus Sorge ums Budget unterschrieben hätten. Aber jetzt teure Beschlüsse zu fällen nehme jeder künftigen Regierung die Spielräume zum Gestalten weg. Zudem gehören alle Maßnahmen, damit sie nicht nur Wahlzuckerln sind, in ein langfristiges Konzept eingebettet. Und dieses könne nur eine neue Regierung ausarbeiten.

Regress-Aus kommt teuer

Einwand: Per se könnten ja auch Parlamentarier einen umfassenden Plan erarbeiten. Kocher bringt es schließlich so auf den Punkt: Letztlich gehe es darum, dass im Nationalrat keine schlechten Gesetze beschlossen werden sollen, also Regelungen, bei denen nicht alle Auswirkungen mitbedacht werden. In Wahlkampfzeiten sei das Risiko höher.

Dafür gibt es in der Tat Belege aus der Vergangenheit. Im Juni 2017 wurde ebenfalls kurz vor einer Wahl im Parlament das Ende des Pflegeregresses beschlossen. Alle Parteien außer den Neos stimmten zu. Die Länder dürfen seither nicht mehr auf das Vermögen von Personen zugreifen, die in stationären Pflegeeinrichtungen untergebracht sind. Auch Erben sind damit geschützt.

Diese Entscheidung schuf neue Probleme: Ohne Regress fehlte den Ländern Geld zur Pflegefinanzierung. Bund und Länder mussten nach den Wahlen wochenlang verhandeln, um eine Lösung zu finden – die Länder bekamen schließlich zusätzliche Mittel.

Jede Maßnahme einzeln bewerten

Berüchtigt für teure Beschlüsse ist vor allem eine Parlamentssitzung vom 24. September 2008. Die dort gefällten Beschlüsse kosten laut Fiskalrat das Budget jährlich 4,3 Milliarden Euro. In jener langen Nacht 2008 wurden Pensionen erhöht und die Hacklerregelung, also die Ausweitung einer großzügigen Frühpensionierungsvariante, beschlossen. Später sprachen ÖVP wie SPÖ von einem Fehler, weil mit der Hacklerregelung die Finanzierung des Pensionssystems in Schieflage geriet.

Andere Beschlüsse von damals würde dagegen wohl heute niemand zurücknehmen. Etwa die Senkung der Mehrwertsteuer für Medikamente auf zehn Prozent. Beschlossen wurde damals auch die 13. Familienbeihilfe im September. Diese wurde später umgewandelt in ein Schulstartgeld, das es immerhin noch bis heute gibt. Dann war da noch 2008 die Abschaffung der Studiengebühren, was bis heute ein umstrittenes Thema bleibt.

Bruno Rossmann, von der Liste Jetzt, der damals noch bei den Grünen war, meint, es wäre eine Fehler alle der damaligen Gesetze zu verteufeln. Sie sollten einzeln bewertet werden.

Das erste Konjunkturpaket

Die Maßnahmen von 2008 erwiesen sich später als nicht ganz falsch, weil die Mehrausgaben ein erstes Konjunkturpaket waren. 2009 brach die Wirtschaftskrise voll los. Abgeordnete, die 2008 dabei waren, weisen auf diesen Umstand gern hin. Freilich war das nur Zufall, wie nötig Konjunkturpakete werden sollten, wusste im September 2008 noch niemand.

Die Verteidiger eines freien Spiels der Kräfte weisen schließlich darauf hin, dass in der Zeit des Interregnums 2008 ein enorm wichtiger Beschluss für Österreichs Stabilität gefallen ist: Damals beschloss das Parlament das Bankenrettungspaket. Der Regierung wurden bis zu 100 Milliarden Euro zur Stützung der Finanzinstitute zugesagt. Freilich basierte das Gesetz auf einem Vorschlag des Finanzministeriums, wurde also nicht von den Abgeordneten geschrieben.

Übrigens heißt es auf Nachfrage auch bei der Arbeiterkammer (AK), dass man ebenfalls dagegen sei, jetzt im Parlament teure Maßnahmen zu beschließen. Damit gefährde man jene Projekte, für die es langfristig mehr Geld brauche, sagt der AK-Ökonom Markus Marterbauer. Als Beispiel nennt er etwa Investitionen für den Klimaschutz. Wenn sich da die Sozialpartner einig sind, warum hat die AK dann die Petition an die Parteien nicht unterschrieben? Man sei nicht gefragt worden, so Marterbauer. Bei der Wirtschaftskammer heißt es, dass es sehr wohl Gespräche mit der AK gab, die Arbeiterkammer aber letztlich nicht mitziehen wollte.

Abgeltung für die Wirte

Gegen Beschlüsse, die keine Kosten verursachen, hat schließlich prinzipiell niemand etwas. Hier ist aber nicht immer ganz einfach zu differenzieren. Im Nationalrat könnte noch vor den Wahlen das Rauchverbot in der Gastronomie beschlossen werden. Am Freitag meinte WKO-Chef Mahrer dazu, er sei damit grundsätzlich einverstanden. Aber: "Wenn es noch einmal eine Änderung geben sollte, ist sonnenklar, dass getätigte Investitionen (der Wirte, Anm.), die nicht mehr genutzt werden können, von der Republik abzugelten sind." Ist dieser Wunsch jetzt mit der Forderung nach keinen zusätzlichen Ausgaben vereinbar ist? Das ist eine andere Geschichte. (András Szigetvari, 11.6.2019)