Wien – Künftige Energienetze werden nicht nur mit allerlei kluger Mess- und Steuerungstechnik ausgestattet sein, um Stabilität in einer dezentralen, von vielen kleinen Produzenten geprägten Struktur zu gewährleisten. Es könnte sich auch ihr Aufbau grundlegend wandeln.
Die Rede ist von der Etablierung sogenannter Energiezellen, das sind klar abgrenzbare Gruppen von Erzeugern, Speichern und Verbrauchern, in denen möglichst viel lokal generierte Energie genutzt wird. Überschüsse oder Mängel werden mit benachbarten Zellen abgeglichen.
Eine derartige Struktur verhindert größere Transportverluste und sorgt für ein höheres Maß an Netzstabilität. Die Angst vor großen Blackouts würde durch diese resilienten Energiesysteme gemindert.
"Eine Energiezelle agiert innerhalb eines größeren Energienetzes autonom, im Notfall auch autark", erklärt Manfred Tragner von der Fachhochschule Technikum Wien. Der Studienprogrammdirektor für urbane Energiesysteme leitet das Forschungsprojekt "Regional Renewable Energy Cells" (R2EC), an dem insgesamt 13 Partner beteiligt sind.
Ziel ist es, auf Basis vorhandener Technologien ein Gesamtsystem für Energiezellen zu entwickeln und zu demonstrieren. Das Projekt, an dem auch Partner in Norwegen und Belgien beteiligt sind, wird vom – in Österreich von der Förderagentur FFG abgewickelten – Era-Net-Programm der EU unterstützt, das grenzüberschreitende Forschungs- und Technologiezusammenarbeit ermöglicht.
Bis zu 200 Einfamilienhäuser
Eine Energiezelle könnte die Größe eines Stadtviertels oder einer kleineren Ortschaft haben. In dem Projekt geht man von einer Größenordnung von bis zu 200 Einfamilienhäusern oder 20 Gewerbebetrieben aus. "Das Ziel ist, dass innerhalb der Zellen genauso viel Energie erzeugt wie verbraucht wird", sagt Tragner.
Rein rechnerisch wäre das in Wohngebieten mit Fotovoltaikpaneelen auf etwa einem Drittel der Dachflächen möglich. Während aktuelle Speicher eine Versorgung in der Nacht problemlos zulassen, fehlt es noch an einer effizienten Lösung für die saisonalen Schwankungen.
Ein Bestandteil der Infrastrukturen sind Energiemanagementsysteme, die bereits verfügbar, aber noch nicht auf breiter Basis ausgerollt sind. "Eine Herausforderung ist etwa die Abstimmung von Monitoring und Managementsystem", sagt Tragner.
Nicht nur Smart Meter und Wechselrichter von Solaranlagen sollen abgefragt werden können. Auch größere Verbraucher wie Wärmepumpen oder Boiler sollen überwacht und darüber hinaus auch zentral regulierbar werden. Das System soll etwa bei hohem Energieaufkommen Verbraucher flexibel dazuschalten und überschüssige Elektrizität in Wärmeenergie speichern können.
Reibungslose Schnittstellen
In der Vermittlung zwischen Monitoring und intelligentem Management geht es Tragner auch um die Schaffung reibungsloser Schnittstellen zwischen den Systemkomponenten. "Das Energienetzwerk soll nicht nur für einzelne Haushalte, sondern auch im Gesamtsystem einer Energiezelle optimiert werden", so der Experte.
Gleichzeitig geht es auch darum, wie ein wirtschaftliches Management der Energiezellen aussehen könnte – entsprechende noch zu etablierende rechtliche Rahmenbedingungen vorausgesetzt. "Wir brauchen Geschäftsmodelle, die regeln, wie Nachbarn untereinander Energie austauschen können", sagt Tragner. Im Projekt werde man prüfen, inwieweit Blockchain-Technologie hier Abhilfe schaffen kann.
Im Rahmen des dreijährigen Projekts sollen Hard- und Software für Energiezellen im Labormaßstab zu einem Gesamtsystem verknüpft werden. Dabei wird bereits mit Daten aus der Praxis gearbeitet. Später soll die Entwicklung im Feld erprobt werden. In einem Nachfolgeprojekt soll die Energiezellentechnologie auch vor Ort in einer Region etabliert werden, sagt Tragner. (Alois Pumhösel, 15.6.2019)