In der westlichen Welt scheinen die Ergebnisse bei Intelligenztests im Schnitt immer schlechter auszufallen. Die Migration ist für diesen Trend jedenfalls nicht verantwortlich, sind Wiener Forscher überzeugt.

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Mit der Intelligenz ist das so eine Sache: Lange Zeit vermutete man, dass unsere Denkleistung im Laufe der Geschichte immer weiter ansteigt. Nach der Entwicklung entsprechender Verfahren, mit denen man einigermaßen verlässliche und vor allem vergleichbare Ergebnisse erhält, liefern diese Instrumente zur kognitiven Diagnostik tatsächlich seit Beginn des 20. Jahrhunderts das Bild eines kontinuierlichen Ansteigens der menschlichen Intelligenz.

Bekannt wurde diese Tendenz in der Wissenschaft als Flynn-Effekt, benannt nach dem neuseeländischen Politologen James Flynn, der das Phänomen 1984 erstmals für die USA beschrieben hatte. Verantwortlich dafür seien Faktoren, so die vorherrschende Theorie, die die frühkindliche Entwicklung beeinflussen, darunter unter anderem eine bessere Ernährung, verbesserte Hygienebedingungen und die wohl umfassendere medizinische Versorgung sowie Verbesserungen in der schulischen Ausbildung.

Intelligenz-Knick in westlichen Ländern

Seit den 1990er-Jahren jedoch beobachten Forscher in der westlichen Welt einen regelrechten Intelligenz-Knick: In zahlreichen Ländern – darunter vor allem in Staaten wie Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Finnland, Niederlanden, Norwegen und auch Österreich, die in dieser Hinsicht in den vorderen Rängen zu finden sind – kam es zu einer Abnahme der durchschnittlichen Leistung bei Intelligenztests.

Die Ursachen für den negativen Trend sind umstritten. Als mögliche Gründe wurden ebenso Umwelteinflüsse genannt wie genetische Veränderungen. Zu den diskutierten Faktoren werden auch Migrationseffekte gezählt, die demnach eine Rolle spielen könnten, wenn Menschen aus Ländern mit angeblich durchschnittlich niedrigerem IQ in Länder einwandern, in denen im Schnitt höhere Intelligenzwerte gemessen wurden.

Keine Einflüsse von Fertilitätsraten

Nun hat ein Forscherteam um Jakob Pietschnig, Martin Voracek und Georg Gittler von der Universität Wien diese Theorie in zwei unabhängigen Studien in der Fachzeitschrift "Politische Psychologie" empirisch untersucht. Im Zentrum einer der beiden Analysen standen die Ergebnisse mehrerer tausend Testpersonen aus Raumvorstellungstests. Dabei zeigte sich jedenfalls keinerlei Beziehung der Testergebnisse zu Nettomigration, absoluter Migration oder Asylwerberzahl. Weiters ließen sich keine Einflüsse von Fertilitätsraten der letzten 40 Jahre auf die Bevölkerungstestleistung nachweisen.

Im Rahmen der zweiten Studie wurden Veränderungen von Leistungen bei Intelligenztests in 21 Ländern an mehreren hunderttausend Testpersonen über einen Zeitraum von über 50 Jahren untersucht. Auch hier hat sich klar gezeigt, dass "Migrationszahlen keinen Einfluss auf Testleistungsänderungen hatten", so die Wissenschafter. "Insgesamt zeigen sich die beobachteten Ergebnisse konsistent mit Befunden, die darauf hindeuten, dass migrationsbedingte Änderungen nationaler Bevölkerungstestleistungen bestenfalls kurzlebig sind", sagt Pietschnig.

Spezialisierte Welt als Ursache

Die tatsächlich Ursachen des "Anti-Flynn-Effekts" sind nach Meinung der Forscher eher Ausdruck der geänderten Anforderungen der Umwelt an die kognitiven Fähigkeiten der Menschen: In einer immer spezialisierteren Welt werden offenbar immer besser spezifische Fähigkeiten entwickelt. Dies dürfte zum Ansteigen der Bevölkerungsintelligenz geführt haben, während allgemeine kognitive Fähigkeiten in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend unverändert blieben. Wenn also die Leistung in spezifischen Fähigkeiten in der Bevölkerung ein Maximum erreicht, sollten sich in Folge Abnahmen der Bevölkerungstestleistung zeigen, meinen die Forscher. (tberg, red, 11.6.2019)