Daniel Zajfman ist seit 2006 Präsident des renommierten Weizmann-Instituts in Rehovot, Israel.

Foto: IST/Johannes Zinner

Diese Aufnahme der Europäischen Südsternwarte zeigt Strukturen des frühen Universums. Noch ist unklar, wie Leben entstanden ist.

Foto: Afp / ESO / L. Calçada & Olga Cucciati

STANDARD: Das israelische Weizmann-Institut, dessen Präsident Sie sind, gilt als Vorbild für das Institute of Science and Technology (IST) Austria. Sie sind nun in Wien, um den zehnten Geburtstag des IST zu feiern – wie hat es sich Ihrer Ansicht nach entwickelt?

Zajfman: Ich war auch hier an dem Tag, als es eröffnet worden ist, und muss sagen: Das IST hat wirklich alle Erwartungen übertroffen.

Wie Wissenschaft und Gesellschaft ineinander greifen, diesem Thema hat Daniel Zajfman zahlreiche Vorträge gewidmet, etwa bei der Falling Walls Konferenz in Berlin 2012. Video: Falling Walls
Falling Walls Foundation

STANDARD: Das Weizmann-Institut ist sehr engagiert, wissenschaftliche Erkenntnisse in der Bevölkerung bekannt zu machen – warum?

Zajfman: Unsere Gesellschaft ist ganz von Wissenschaft und Technologien durchdrungen. Wir brauchen daher Bürger, die mit Wissenschaft umgehen können. Die Öffentlichkeit muss wissen, woran Wissenschafter arbeiten, was erwartet werden kann und auch, wie das Geld investiert wird. Die Zeiten, als sich Wissenschafter nur im Elfenbeinturm zurückgezogen haben, sind vorbei. Wir brauchen die Freiheit im Elfenbeinturm, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht kommunizieren müssen. Wenn man diese Freiheit hat und nach außen kommuniziert, verwandelt man den Elfenbeinturm zu einem Leuchtturm. Kommunikation sollte ein integraler Teil der Wissenschaft sein. Denn nicht nur die Öffentlichkeit, auch die Wissenschafter profitieren davon.

STANDARD: Welche Formate nutzt das Weizmann-Institut, um wissenschaftliche Erkenntnisse in die Öffentlichkeit zu bringen?

Zajfman: Sehr viele verschiedene. Ein Beispiel ist unsere Dating-App, wo wir einen Wissenschafter mit einem Lehrer zusammenbringen, der 15 Minuten lang alle seine Fragen stellen kann. Außerdem organisieren wir wissenschaftliche Vorträge in Bars. Wir gehen auch in Gefängnisse und sprechen dort über unsere Forschung. Wir können nicht erwarten, dass die Leute zu uns ins Labor kommen, wir müssen dort hingehen, wo sie sind. Wissenschafter müssen sich aus ihrer Komfortzone hinausbewegen. Die Zeiten, wo sich alles auf dem Campus der Universität abgespielt hat und die Leute zu uns kamen, sind vorbei.

STANDARD: Wie nehmen Häftlinge wissenschaftliche Inhalte auf?

Zajfman: Wenn man Wissenschaft lehrt, lehrt man damit auch gewisse Werte, die sehr einfach sind: Wir machen Experimente, sammeln Daten, wir analysieren die Daten, und dann leiten wir daraus eine Schlussfolgerung ab. Unsere Ergebnisse sind evidenzbasiert. Das ist sehr einfach – so funktioniert Wissenschaft. Wenn man diesen Prozess unterrichtet, verändert man die Art und Weise, wie sich Menschen verhalten. Naturgesetze sind ein interessantes Konzept für Menschen, die im Gefängnis sind. Sie lernen, dass man sich an die Naturgesetze halten muss, wenn man will, dass ein Experiment funktioniert. Wenn ein Flugzeug zum Beispiel eine bestimmte Geschwindigkeit erreicht, dann hebt es immer ab, jedes einzelne Mal. Das ist erstaunlich, und der Grund dafür sind die Gesetze der Aerodynamik.

STANDARD: Sie selbst sind Physiker und haben zur Entstehung komplexer Moleküle geforscht – was fasziniert Sie daran?

Zajfman: In der Physik gehen wir davon aus, dass das Universum mit dem Big Bang entstanden ist. Das ist ein Modell. Die Leute glauben oft, die Wissenschaft sei die Wahrheit, aber das ist sie nicht. Niemand kennt die Wahrheit. Wissenschafter suchen bloß nach den besten Modellen, um die Natur zu beschreiben. Die ultimative Frage ist: Wie entsteht Leben? Das ist eine sehr komplexe Frage, und wir haben keine Antwort darauf. Wir wissen aber, dass es für die Entstehung von Leben komplexe Moleküle braucht. Doch wie entstehen sie? Diese Frage hat mich für Jahre in den Bann gezogen.

STANDARD: Wie gehen Sie an diese Frage heran?

Zajfman: Ich habe Experimente gemacht, in denen wir versucht haben, die Gegebenheiten im frühen Universum im Labor nachzustellen. Das ist eine sehr kalte Umgebung, in der es nur einfache Wechselwirkungen gibt. Wir stehen erst am Anfang, aber wir haben einige Fortschritte gemacht. Zum Beispiel konnten wir Wasser reproduzieren. Soweit wir wissen, ist Wasser essenziell für Leben, wie wir es kennen.

STANDARD: Lassen sich aus Ihrer Forschung Schlüsse ziehen, ob es außer uns Leben gibt?

Zajfman: Das weiß ich nicht, doch ich habe eine Intuition, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert. Wenn Sie mich vor 25 Jahren gefragt hätten, ob außerirdisches Leben existiert, hätte ich gesagt: sehr unwahrscheinlich. Doch in den vergangenen 25 Jahren habe ich meine Meinung geändert und würde jetzt sagen: Es wäre sehr unwahrscheinlich, dass es außer uns kein Leben gibt.

STANDARD: Was hat Sie umdenken lassen?

Zajfman: Es scheint, dass alle Prozesse, durch die komplexe Moleküle entstehen, sehr solide sind. Es ist nicht kompliziert, dass sie entstehen. Vor 25 Jahren kannten wir Milliarden Sterne, aber keine Planeten außerhalb unseres Sonnensystems. Jetzt kennen wir Tausende von Planeten, das heißt, dass es Milliarden gibt. In unserem Sonnensystem sind acht Planeten, und auf der Erde gibt es Leben. Da es im Universum Milliarden von Planeten gibt, wäre ich nicht überrascht, wenn wir außerirdisches Leben entdecken, zumindest irgendeine Form von Leben.

STANDARD: Und intelligentes Leben?

Zajfman: Intelligentes Leben existiert nicht einmal auf diesem Planeten (lacht). Im Ernst: Die Frage, wie man intelligentes Leben definiert, ist sehr komplex. Wir Menschen fokussieren uns dabei zu sehr auf uns selbst. (Tanja Traxler, 12.6.2019)