Slowenisch ist Österreich zumutbar: Florjan Lipuš.

Foto: Marko Lipus

"Um Leser zu fangen, muss man Romane schreiben. Um sie zu verlieren, muss man gut schreiben", behauptet Ludwig Hohl (1904–1980) in seinem Buch Die Notizen oder von der unvoreiligen Versöhnung.

So wie Hohl, der mit an Sturheit grenzender Hartnäckigkeit an einem Werk arbeitete, das vom Allgemeingültigen, Unvergänglichen und vom Verdrängten spricht, ist auch der Kärntner Slowene Florjan Lipuš ein Autor, der mit seinen Sätzen die Kerker des Nichtgesagten zu spalten vermag. Und zwar in einer wuchtigen und stellenweise spinnwebenfeinen Prosa, die ihre Monumentalkraft auf kleinstem Raum, in kurzen Sätzen mit maximalem Lebens- und Sprachinhalt entwickelt.

Verweigerte Wehmut

Die Verweigerung der Wehmut (1985), Der Zögling Tjaz (1982) oder Seelenruhig (2017) heißen die Romane dieses 1937 in Lobnig bei Eisenkappel geborenen Autors, der für sein Werk mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Zuletzt – und nach einigem Hin und Her – mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur. Es sei schön, so Lipuš, der auf Slowenisch schreibt, in seiner Dankesrede, dass diese Sprache Österreich zumutbar sei.

Auch wenn Lipuš, dessen Werk in herausragenden Übersetzungen von Peter Handke, Fabjan Hafner und Johann Strutz in deutscher Übersetzung vorliegt, im Verlauf der Jahre gelassener wurde, ästhetisch blieb er radikal. Wobei die Bücher dieses Autors um immer dasselbe Themengeflecht kreisen: Die im KZ Ravensbrück umgebrachte Mutter (sie hatte als Partisanen verkleidete Gestapo-Leute bewirtet), der an der Ostfront verstummte Vater, das Aufwachsen bei der Großmutter in einer Berghütte, das Internat und als Erziehung getarnte Versuche, Kinderwillen zu brechen.

Immer wieder thematisiert Lipuš auch das Dorfleben mit seinem Schweigen über die Kriegszeit, seiner Indifferenz und der latenten Feindseligkeit gegenüber der slowenischen Minderheit. Ein Dorf steht auch im Zentrum von Lipuš' neuer Prosaarbeit Schotter, gegen deren Ende der Autor schreibt: "Nichts Gewesenes ist beendet, nichts Zukünftiges hat begonnen." Lipuš lässt das Buch mit einer Rückkehr beginnen. Einige Dorfbewohner brachen zu einem "Gedächtnismarsch" in ein Konzentrationslager auf, in dem Verwandte und Freunde umgebracht wurden. Nun sind die "Gedächtnisgeher" – unter ihnen auch einige "Nachgeborene" – wieder zurück. Tief hat sich das Gesehene in ihre Seelen eingebrannt, nicht zuletzt das schwarze Schotterfeld des Lagers, das dem Buch den Titel gibt.

Verdichtete Atmosphäre

Schon auf dem Weg zu ihren Häusern spüren die Zurückgekehrten, dass die Atmosphäre im Dorf nicht mehr die gleiche ist, sie hat sich zu einer "Masse zusammengeballt". Diese Verdichtung, in der sich Vergangenes mit Gegenwärtigem, Unausgesprochenes mit Gesagtem, Lagertod mit Dorfleben und Erdachtes mit Passiertem amalgamiert, macht das Buch zu einem intensiven und verstörenden Leseerlebnis.

Man wird dieser außergewöhnlichen, litaneihaften Prosa über das Nichtvergehen der Zeit indes nicht gerecht, wenn man sie über den Inhalt zu dechiffrieren versucht, der einen Bogen vom Lagergrauen über den in den Menschen gespeicherten Krieg bis zum Schweigen der Anpassler und Rechthaber schlägt. Denn weit mehr als um Inhalt geht es Florjan Lipuš um das Finden einer Sprache für das Unsagbare und das Speichern verblassender Erinnerungen. Und die gemarterten Seelen? Lipuš schreibt: "Bleiben wird, was über sie erzählt wurde. Der Köper vergeht, die Erzählung besteht, sie löst sich aus dem Körper und lebt auf." (Stefan Gmünder, 12.6.2019)