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Brasiliens nunmehriger Justizminister Sérgio Moro war als Bundesrichter scharf gegen Korruption aufgetreten und hat seither viele Fans. Nun steht er aber selbst unter Beschuss.

Foto: AP / Silvia Izquierdo

Gehackte Telefonnachrichten, illegale Absprachen zwischen Richter und Staatsanwaltschaft sowie eine politisch motivierte Rechtsprechung – Brasilien erlebt gerade den Anfang eines Justizskandals, der die Korruptionsermittlungen der vergangenen Jahre wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lassen könnte. Im Mittelpunkt der Affäre steht der damalige zuständige Bundesrichter und heutige Justizminister Sérgio Moro.

Der von Anhängern als Saubermann und furchtloser Kämpfer gegen Korruption gefeierte Moro steht nun selbst mitten im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ihm werden Absprachen mit der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, um Ex-Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva an einer Kandidatur für die Präsidentschaft zu hindern. Die Investigativplattform "The Intercept" zitierte dafür aus ihr zugespielten Chats, E-Mails, Videos und Fotos.

Linkspolitiker Lula führte damals die Umfragen für die Präsidentschaftswahl 2018 mit weitem Vorsprung an. Nur seine Inhaftierung verhinderte eine Kandidatur, sein politischer Widersacher, der rechtsextreme Jair Bolsonaro, gewann die Stichwahl und verkündete, Lula werde "im Gefängnis verrotten". Außerdem holte er Moro in sein Kabinett. Der Wechsel des angesehenen Juristen auf die Regierungsbank galt als schlauer Schachzug. Doch jetzt könnte sich das Blatt drehen. Ausgerechnet Bolsonaros Superminister stürzt die ohnehin angeschlagene Regierung aus Rechtskonservativen, Militärs und Evangelikalen in eine Krise.

Schiebung und Anweisungen

Lula wurde von Moro 2017 zu mehr als neun Jahren Haft wegen Korruption verurteilt. Es war der vorläufige Höhepunkt eines Kräftemessens, das Lulas Anhänger als Hetzjagd bezeichneten. Moro sieht es als erwiesen an, dass Lula dem Baukonzern OAS Aufträge beim halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras verschafft hat. Als Gegenleistung soll er eine dreistöckige Luxuswohnung im Küstenort Guarujá bekommen haben. Tatsächlich gründete sich der Prozess nur auf Indizien. Moro konnte Lula den Besitz der Immobilie nicht nachweisen. Lula beteuerte immer wieder seine Unschuld.

Laut "The Intercept" soll auch der zuständige Staatsanwalt Deltan Dallagnol wenige Tage vor Urteilsverkündung wachsende Zweifel bekommen haben. In einer Gruppenkonversation im Messengerdienst Telegram verweist er auf die fehlenden Beweise. Deshalb müssten Antworten angepasst werden, schreibt Dallagnol dann. In anderen Chats gibt Moro Staatsanwalt Dallagnol Anweisungen, wie er das Verfahren gegen Lula zu führen habe, mischt sich in die Strategie des Prozesses ein und nimmt Entscheidungen vorweg.

Lula, der seit über einem Jahr im südbrasilianischen Curitiba in Haft ist, kann angesichts dieser Enthüllungen auf ein Berufungsverfahren hoffen.

Lula geht in Berufung

Die Dokumente seien auf illegale Weise zustande gekommen und könnten deshalb nicht für ein Strafverfahren gegen Moro genutzt werden, erklärt der Verfassungsrechtler Pedro Serrano von der Katholischen Universität São Paulo. "Aber sie können genutzt werden, um Urteile zu annullieren – wie im Fall von Ex-Präsident Lula." Die brasilianische Verfassung von 1988 betont die Unabhängigkeit der Justiz und verbietet den Austausch von Informationen zwischen Staatsanwaltschaft und Richter außerhalb des Prozesses. Das Oberste Gericht will Ende des Monats über einen weiteren Berufungsantrag von Lulas Anwälten verhandeln.

In anderen Chats sprechen Moro und Dallagnol über ein abgehörtes Telefonat der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff mit Lula. Sie will ihn zum Minister machen – "für den Fall, dass das notwendig ist". Damit würde Lula Immunität bekommen und wäre vor Ermittlungen geschützt.

Richter und Staatsanwalt wissen, dass die Veröffentlichung der Aufnahmen illegal wäre, entscheiden aber, sie den Medien zuzuspielen. Hinterher jubelten sie über den Coup. Das Telefonat stürzte die Regierung Rousseff in eine schwere Krise.

Für Moro und Dallagnol ist es, als ob sich diese Geschichte nun umgekehrt wiederholt. Jetzt könnten ihre Karrieren ein jähes Ende nehmen. Erstmals werden nun auch Rücktrittsforderungen gegen Moro laut. Der ansonsten so wortgewaltig auftretende Präsident Bolsonaro gibt sich vorerst vor allem schmallippig. Er habe zu all seinen Ministern Vertrauen, ließ er lediglich über einen Sprecher verkünden. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 11.6.2019)