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Iwan Golunow, hier vor Gericht, darf den Hausarrest verlassen.

Foto: AP / Evgeny Feldman

Damit hatte wohl nicht einmal er selbst gerechnet: Über Nacht hat Iwan Golunow, der Journalist der kleinen, in Lettland registrierten Internetzeitung Medusa, russlandweit Bekanntheit erlangt. Auf die Umstände seiner plötzlichen Popularität hätte der 36-Jährige dabei wohl gern verzichtet. In der vergangenen Woche wurde er vor dem alten Moskauer Zirkus von der Polizei wegen des Verdachts des Drogenhandels festgenommen.

Der eigentliche Zirkus begann danach. Die Beamten schleppten den Journalisten aufs Revier, ohne sich zunächst auszuweisen, verweigerten ihm einen Anwalt bei der Befragung und der Durchsuchung und verprügelten ihn beim Drogentest. Die im Rucksack – an oberster Stelle – und bei der Hausdurchsuchung in Abwesenheit Golunows gefundenen Päckchen an Amphetaminen sollen die Schuld des Journalisten beweisen.

Doch die Kollegen Golunows glauben dieser Version nicht. Sie kenne keinen Menschen, der weiter entfernt von Drogen sei, sagte seine enge Freundin Swetlana Rejter. "Er trinkt keinen Alkohol, das wissen alle, er hat sogar aufgehört, alkoholfreies Bier zu trinken", so Rejter. Auch viele andere Kollegen halten die Drogenvorwürfe für fabriziert.

Freilassung am Dienstag

Denn Golunow ist Investigativjournalist und hat sich mit journalistischen Ermittlungen zu Korruptionsaffären wenig Freunde gemacht: Der gebürtige Moskauer schrieb über Milliardengeschäfte bei der illegalen Müllentsorgung oder die Luxusimmobilie des Moskauer Vizebürgermeisters. Zuletzt sorgte seine Reportage über die Aufteilung des lukrativen Bestattungsmarkts zwischen Mafia, Sicherheitsorganen und Beamten für Aufruhr.

So ist Golunow für viele Russen nach der Verhaftung zum Symbol dafür geworden, wie die Obrigkeit versucht, unbequeme Wahrheiten zu unterdrücken. Dass sich die Polizei selbst in immer mehr Widersprüche verstrickte, erhärtet den Verdacht. Doch Golunow ist auch zum Symbol des Widerstands gegen Willkür und Polizeigewalt geworden. In einer Gesellschaft, die lange Zeit immer apathischer wurde, hat sein Fall eine ungeahnte Welle der Solidarität ausgelöst. Für Golunow, der sich in seinen Reportagen stets für die Rechte der Kleinen gegen die Großen eingesetzt hat, wäre das Erwachen der Zivilgesellschaft sicher die willkommenste Folge seines Unglücks.

Immerhin: Am Dienstag zeigte der Druck auf die Behörden erste Erfolge. Golunow sollte aus dem Hausarrest entlassen werden. (André Ballin, 11.6.2019)