Das Projekt "Wohnen mit scharf!" in der Ernst-Melchior-Gasse im Statdentwicklungsgebiet Nordbahnhof hat ein gewöhnungsbedürftiges Stiegenhaus.

Foto: Superblock

Das hat geknallt. Ein pinkes Stiegenhaus ließ die nachbarschaftlichen Wogen zweier Projekte am Nordbahnhof erst hochgehen, sorgte dann aber für Glättung. Wie das geschah, schilderte Superblock-Architektin Verena Mörkl, die das von der Stadt Wien ausgezeichnete Projekt begleitet hat.

Der Hintergrund: Den Bauplatz teilt sich der geförderte Wohnbau "Wohnen mit scharf!" mit dem bekannten Nachbarn "Wohnprojekt Wien". Die zwei Häuser mit unterschiedlichen Konzepten – das eine ein interkulturelles Projekt, das andere eine Baugruppe – nützen die Infrastruktur gemeinsam. "Wir hatten Angst, dass die Scharf-Bewohner von der Vehemenz der Baugruppen-Leute überrollt werden", so die Architektin.

Eine Facebook-Gruppe sollte den Austausch der Nachbarn ermöglichen. Als die Scharf-Bewohner einzogen, waren sie vom knalligen Stiegenhaus nicht begeistert, die Baugruppen-Bewohner lästerten auf Facebook munter mit. Bis der Wendepunkt kam: "Was geht es euch an, wie unser Stiegenhaus ausschaut?", schrieb ein Scharf-Bewohner. Von da an hat sich ein Wir-Gefühl im Scharf-Projekt entwickelt, und mittlerweile funktioniert auch die Nachbarschaft mit dem "Wohnprojekt" gut. Man gartelt und nutzt etwa die Grünflächen gemeinsam.

"Man soll nicht vor Provokation zurückschrecken, muss aber begleiten. Soziale Durchmischung hat mit In-Beziehung-Treten zu tun, und das muss nicht harmonisch sein", ist Mörkl überzeugt. Nur Bewohner, die sich mit Haus und Grätzel identifizieren, seien bereit, dafür zu diskutieren.

Wir vom Monte Laa

"Wir, die Monte Laaer", so beschrieb Wissenschafter Daniele Karasz die Identität und aktive Gemeinschaft der Monte-Laa-Bewohner aus dem Jahr 2011. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie an der Uni Wien hat in dem neuen Stadtteil mit über 2000 größtenteils geförderten Wohnungen 2011 und 2018 dieselben Bewohnerinnen und Bewohner zum Zusammenleben befragt – mit überraschenden Ergebnissen. Die Grenzen der Identität haben sich sehr stark verschoben. "Die Menschen, die aus dem ehemaligen Jugoslawien zugezogen sind, erzählten vor acht Jahren, dass sie viel mit der Nachbarschaft kommunizieren, die Österreicher das aber nicht tun", so Karasz.

2018 hatten sich die Gruppen völlig verschoben und die Selbst- und Fremdwahrnehmung war eine ganz andere: "Wir, die Österreicher und die Jugoslawen, tragen aktiv zur Gemeinschaft bei, sprechen mit den Nachbarn. Die anderen, die Türken, die Muslime, tun das nicht", lautete das Gros der Aussagen.

Die sehr aktive Nachbarschaft mit speziellem migrantischen Aufstiegsszenario ist in den sieben Jahren fast verschwunden. Der Stadtteil Favoriten und Wien allgemein wurden von den Interviewten muslimischer erlebt, manche zogen sich zurück. Stadtteilübergreifende Identität zu fördern kann auch nach hinten losgehen", sagt Karasz zu dem Phänomen. Fragte er die Menschen nach konkreten Beispielen, konnten sie keine nennen: "Es zeigte sich, dass sie sich viel aus Medienberichten zusammenkonstruiert haben." (adem, 12.6.2019)