Dach und Fenster sind desolat, die Fassade beschädigt. Nun soll das Haus in Steglitz-Zehlendorf saniert werden.

Foto: imago images / Mauersberger / Semmer

In Berlin wurde in den letzten Monaten viel über Enteignungen gesprochen. Selbige forderte die Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" und sammelt dafür derzeit in Berlin Unterschriften. Sie will Großvermieter mit mehr als 3.000 Wohnungen in der deutschen Hauptstadt enteignen – und so gegen Spekulanten vorgehen.

Nun kommt in Berlin das Instrument der Enteignung tatsächlich erstmals zur Anwendung – zumindest vorübergehend. Ein Hausbesitzer, der sein leerstehendes Mehrfamilienhaus im Stadtteil Steglitz-Zehlendorf seit 20 Jahren nicht saniert hat, soll vorübergehend enteignet werden. Sein Haus soll einem Treuhänder übergeben werden, der eine Sanierung des Gebäudes, bei dem das Dach und einige Fenster mit Planen verdeckt sind und Wasserflecken auf der Fassade sichtbar sind, veranlasst.

Knapp eine Million Euro sollen für die Sanierung nötig sein, heißt es in einem Bericht dazu im Rundfunk Berlin-Brandenburg. Das Geld wird zwar durch den Bezirk oder die Treuhändergesellschaft vorgestreckt, die per Ausschreibung erst gefunden werden muss. Am Ende wird aber der Eigentümer zur Kassa gebeten. Kann er nicht zahlen, droht im schlimmsten Fall eine Zwangsversteigerung.

Leerstand melden

Rechtliche Grundlage des Vorgehens ist das Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum, das im vergangenen Jahr erneuert wurde und den Bestand an Mietwohnungen in der Stadt schützen soll. Damit will Berlin gegen die überbordende Vermietung von Wohnungen auf Plattformen wie Airbnb vorgehen. Aber eben auch gegen Spekulanten und Eigentümer, die ihre Häuser absichtlich leerstehen lassen.

Die Bezirke müssen Leerstand seit der Verschärfung des Gesetzes nur noch drei statt sechs Monate dulden. Wer seine Immobilie länger leerstehen lassen will, muss einen Antrag stellen. Der Bußgeldrahmen bei Verstößen gegen das Zweckentfremdungsrecht wurde auf 500.000 Euro angehoben. Und die Bezirke können über das Verwaltungsgericht die Wiederherstellung von Wohnraum einfordern. Kommt ein Eigentümer dem nicht nach, kann als letztes Mittel ein Treuhänder eingesetzt werden, um das Wiederherstellen von Wohnraum zu beschleunigen.

Der 71-jährige Hausbesitzer soll laut Medienberichten in der Vergangenheit auch bei Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht versprochen haben, sich um die Sanierung zu kümmern, dem aber nie nachgekommen sein. Er besitzt mehrere Mietshäuser in der Stadt, die allesamt komplett oder teilweise leerstehen.

Weitere Enteignung

Die Einsetzung des Treuhänders ist nur die jüngste Maßnahme der Stadt, um gegen den Eigentümer vorzugehen. Zuvor waren bereits Zwangsgelder verhängt worden – Maßnahmen, die von ihm allerdings gerichtlich bekämpft wurden. Auch gegen den Einsatz des Treuhänders kann der Eigentümer Rechtsmittel einlegen, betont der stellvertretende Bezirksbürgermeister Michael Karnetzki (SPD) gegenüber dem Rundfunk Berlin-Brandenburg. Daher müsse jeder Schritt sorgfältig erfolgen, damit das Verfahren auch vor Gericht besteht.

Noch bei einem weiteren Haus in Berlin-Mitte droht dem Eigentümer nun Ungemach: Auch hier fordert der Bezirk eine Enteignung, weil sich das Haus in einem Erhaltungsgebiet befindet und der Eigentümer dieser Erhaltung nicht nachkommt. Der Antrag wird nun von der Enteignungsstelle bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung geprüft.

Dass mit solchen Enteignungen das Problem der Wohnungsknappheit in Berlin gelöst werden kann, glaubt Wilhelm Breuer, Immobilienfinanzierungsexperte an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft in Holzminden, im Gespräch mit dem STANDARD aber nicht. "Das kann nur ein Symbol sein", sagt er. "Letztendlich hilft nur bauen, bauen, bauen."

Andere Situation in Österreich

In Österreich ist die Gesetzeslage eine andere. Eine vorübergehende Enteignung wie in Berlin wäre hierzulande nicht möglich, sagt der auf Immobilienrecht spezialisierte Rechtsanwalt Thomas In der Maur (Höhne, In der Maur & Partner): Lässt der Eigentümer das Haus verfallen, können die Mieter im Anwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes Erhaltungsmaßnahmen notfalls mit Zwangsverwaltung erzwingen. Stellt der Zustand der Immobilie eine Gefahr dar, kann die Baubehörde Bauaufträge erteilen und mit Ersatzvornahme durchsetzen.

Auf eines weist In der Maur im Zusammenhang mit Enteignungen auch hin: "Enteignungen kosten die öffentliche Hand viel Geld, weil entschädigungslose Enteignungen grundsätzlich nicht gehen." Andere Eingriffe in das Eigentumsrecht seien da effektiver – wie etwa bei der Reform der Wiener Bauordnung. Im Rahmen der Novelle wurde im Vorjahr ein verpflichtender Anteil an gefördertem Wohnbau bei großen Bauvorhaben durchgesetzt. (zof, 12.6.2019)