Nutzte einen pfingstlichen Ausflug in die grüne Steiermark, um sich demonstrativ gelassen zu zeigen: Er glaube "an diese ganzen Bedrohungen" nicht, sagt Peter Sloterdijk.

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In einer Welt von Heißläufern tut der Weise gut daran, nicht nur den Kopf zu bewahren, sondern ihn obendrein auch kühl zu halten. Philosoph Peter Sloterdijk (71) beehrte vergangene Woche den "Pfingstdialog" auf Schloss Seggau in der Steiermark. Dort angekommen, brach der Autor kulturdiagnostischer Bücher umgehend eine Lanze für die Gegenwart: "Wir leben in guten Zeiten", beschied er Skeptikern wie seinem Gesprächspartner Rainer Nowak (Die Presse). Die Welt werde für schlechter gehalten, als sie ist. Hunger, Krankheit und Krieg stellen nicht länger eine Bedrohung dar.

Die europäischen Gesellschaften verwechselten Risiken mit Gefahren, das erzeuge permanenten Stress. "Migration ist ein solches Risiko, das emotional in das Register der Gefahr übernommen wird", so Sloterdijk. Dadurch entstehen Emotionen, die mit dem eigentlichen Risikopotenzial nichts zu tun haben. Soziale Netzwerke haben in Sloterdijks Augen das Amt der Apokalyptischen Reiter übernommen. Sie seien "epidemiefähig" und würden schlechte Nachrichten wie Mikroben übertragen.

Antisemitismus und Alarmismus

Die Pointe dieser Einübung in die Gelassenheit ließ nicht lange auf sich warten. Sloterdijk meinte, dass "das derzeit in Deutschland beklagte Ansteigen des Antisemitismus" dem nämlichen Alarmismus geschuldet sei. Wenn etwa behauptet wird, 30 Prozent der Deutschen seien judenfeindlich, so habe dies den Charakter einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Der Denker mahnte "Zurückhaltung" ein: Er glaube "an diese ganzen Bedrohungen" nicht. Im Gegenteil habe sich das jüdische Leben nach 1945 in Österreich und Deutschland weitgehend ungestört entfalten können.

Nach Erreichen eines solchen Diskussionsstandes sollte man Sloterdijk nicht mehr länger mit Empirie behelligen. Der Philosoph wurde von Cicero unlängst zum wichtigsten deutschsprachigen Intellektuellen gekürt. (Ronald Pohl, 12.6.2019)