Macrons Umfragewerte steigen wieder.

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Tagelang hatte Frankreichs Premierminister Édouard Philippe seine Regierungserklärung ausgearbeitet – aber als sie endlich parat war, landete sie im Papierkorb. Zu wenig politisch, zu wenig offensiv: So lautete das Verdikt aus dem Élysée-Palast. Präsident Emmanuel Macron will ein Zeichen setzen und klarmachen, dass er den forschen Reformkurs seiner ersten beiden Amtsjahre wiederaufnehmen will. Denn momentan verspürt er Rückenwind: Die Gelbwesten-Krise scheint gemeistert, die Arbeitslosigkeit sinkt landesweit, und Macrons Umfragewerte steigen wieder.

Philippe bemühte sich deshalb am Mittwoch um eine markige Regierungserklärung. Sie legte, wie er sagte, den Grundstein für den "Zweiten Akt" von Macrons Amtszeit (2017–2022). Mit der Stimmenmehrheit der LRM-Abgeordneten sprach die Nationalversammlung der Regierung das Vertrauen aus. Philippes wichtigste Ankündigung betrifft die hochbrisante Pensionsreform. Sie soll mit der Vorzugsbehandlung der Beamten aufräumen und den Bezug einer Vollrente erst ab 64 Jahren – heute 62 – ermöglichen.

Philippe präzisierte ferner mehrere Versprechen Macrons, so die Senkung der Einkommensteuer um fünf Milliarden Euro und die Sanierung der Arbeitslosenversicherung. Auch die – nicht minder umstrittene – Leihmutterschaft für lesbische Paare und alleinstehende Frauen soll zugelassen werden. Dazu nannte der Premier diverse Umweltmaßnahmen im Bereich Recycling und Gebäuderenovierung.

Zuckerln für Bürgerliche

Die meisten Ankündigungen sind indes bürgerlichen Zuschnitts. Das entspricht der Veränderung von Macrons Wählerschaft, die sich laut diversen Erhebungen nach rechts verschoben hat. Bei der Europawahl stimmten 27 Prozent der konservativen Republikaner diesmal für Macron. Vor allem bei älteren Wählern gilt der Staatschef als Garant einer gewissen Stabilität.

Die Republikaner schlingern hingegen führungslos, nachdem Parteichef Laurent Wauquiez wegen des Europawahldebakels (nur 8,5 Prozent der abgegebenen Stimmen) zurückgetreten ist. Mehrere prominente Köpfe wie Valérie Pécresse, Vorsteherin der mächtigen Region Paris, haben die Partei letzte Woche verlassen; dutzende Lokalpolitiker sind gleich zu Macron übergelaufen.

Auch in der Linkspartei La France insoumise (6,3 Prozent) brechen die Querelen offen aus. Parteitribun Jean-Luc Mélenchon, der bei der Präsidentschaftswahl 2017 noch 19,6 Prozent erzielt hatte, versinkt in der Depression und muss vernehmen, dass einst treue Mitstreiterinnen wie Clémentine Autain einen linken "Big Bang" fordern – natürlich ohne Altmeister Mélenchon.

Zerfall der traditionellen Parteienlandschaft

So zerfällt die traditionelle Parteienlandschaft in Paris immer mehr. Das Newsportal "Mediapart" wirft den Macronisten vor, eine künstliche Rivalität Macron – Le Pen zu fördern: "Sie zerstören den Pluralismus, schalten die Gegengewalten aus und inszenieren sich als einzige Alternative zu den Rechtspopulisten." Das sei ein "gefährliches Spiel", weil es Le Pen legitimiere und stärke, meint auch Nicolas Lebourg, Historiker der extremen Rechten. Schon bei der nächsten Präsidentschaftswahl könne diese künstliche Polarität ins Auge gehen.

Allerdings ist zu sagen, dass die Hälfte der französischen Wähler weder Macron noch Le Pen zuneigt. Sollte bei den Republikanern, der Linken oder gar den Grünen eine starke Persönlichkeit auf den Plan treten, hätte diese beste Chancen. Derzeit ist niemand in Sicht. Macron hat aber selbst vorgemacht, dass eine Kandidatur heutzutage binnen einem Jahr zum Erfolg führen kann. (Stefan Brändle aus Paris, 12.6.2019)