Nichts halte das Gemeinwesen besser zusammen als Verlässlichkeit, meint Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein.

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Als es galt, unter der Regie des Bundespräsidenten den Regierungspallawatsch aufzuräumen, den Sebastian Kurz nach nur siebzehn Monaten hinterlassen hat, war es der Geist Hans Kelsens, der über allen getrübten Wässerchen schwebte. Mit der Konsolidierung unter der Regierung Bierlein erfuhr wieder ein Spitzenjurist eine auffällige Wiederbelebung, diesmal war es M. T. Cicero. Nichts halte das Gemeinwesen besser zusammen als Verlässlichkeit, rief die Bundeskanzlerin, ihn zitierend, die Unverlässlichkeit der abgelebten Koalition in Erinnerung. Nicht genug damit! Auch Finanzminister Müller bezog sich auf Cicero, als er dessen der alt- wie neurömischen Realität eher fernen Gedanken belebte, Sparsamkeit sei die beste Einnahmequelle eines Staates.

Experten kennen eben ihren Cicero. Aber wovor wollten sie mit dieser Doppelerinnerung wirklich warnen, wenn sie denn nicht purer Zufall war? Zitate zu den Themenkreisen Verlässlichkeit und Sparsamkeit ließen sich auch anderswo finden, man denke nur an Lenins "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Als größtes Verdienst des Konsuls Cicero galt aber doch sein entschiedenes Eingreifen, als sich eine Zusammenrottung catilinarischer Existenzen, auch unter Berufung auf das Volk, die Res Publica unter den Nagel reißen wollte.

Platz an der Sonne

Mit derlei macht man sich nicht nur Freunde. Ein Segen daher, dass sich die Regierung Bierlein mit historischen Reminiszenzen an Sparsamkeit und Verlässlichkeit begnügen konnte, ohne tiefer in die gegenwärtigen Verhältnisse eintauchen zu müssen. Ihr Ablaufdatum ist vorgegeben, und dann soll endlich wieder das Völkische zu seinem Recht kommen. Niemand arbeitet härter daran als Sebastian Kurz. Auf einen Kasino-Parlamentarismus, der sich vom Beton-Parlamentarismus der Zeit seiner Kanzlerschaft so unvorteilhaft, nämlich durch ein freies Spiel der Kräfte, unterscheidet, kann er umso leichter verzichten, als er auf einer Tour durch Wirtshäuser, Vereinslokale und Betriebe sich nicht irgendwelchen Widerreden aussetzen muss, die so gar nicht sein Stil sind. Dafür werden die Organisatoren in seinen Diensten sorgen. Demokratie ist ganz nett, aber Demokratie im Parlament ist doch eher die Schattenseite der Politik. Und sein Platz ist nun einmal der an der Sonne. Durchblicken ließ er es schon vorher, jetzt zeigt er es offen: Er ist sich einfach zu gut für das Parlament.

Diese offene Verachtung der parlamentarischen Demokratie ist sein eigentliches Thema in diesem Wahlkampf. Ein neues hat er nicht, wenn er seinen eigenen Wahlkampfslogan ernst nimmt: Unser Weg hat erst begonnen. Handelt es sich dabei nicht bloß um einen leeren Majestätsplural, kann damit nur die Fortsetzung der eben explodierten türkis-blauen Koalition gemeint sein, denn eine andere Partei, die seinen Weg ohne Abweichung mitzugehen bereit wäre, gibt es derzeit nicht.

Was schert ihn da sein "Genug ist genug" von gestern, wenn die Freiheitlichen schon wieder flehen, seinen Weg mit ihm bis an ein neues bitteres Ende gehen zu dürfen! Die Videostars von Ibiza sind Opfer, Kickl macht weiter wie gewohnt, er ist Kanzler, und weit und breit kein Cicero. (Günter Traxler, 14.6.2019)