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Neue Apartments in der Region Idlib.

Foto: Reuters/KHALIL ASHAWI

Moskau und Ankara haben sich am Mittwoch auf einen vorübergehenden Waffenstillstand in der syrischen Provinz Idlib geeinigt. Vor allem für die Türkei ist das von Vorteil. In der Grenzregion fanden in den vergangenen Wochen die schwersten Kämpfe seit Sommer 2018 statt. Die syrische Armee ging mit russischer Unterstützung gegen islamistische Rebellengruppen vor, die wiederum als Alliierte Ankaras gelten.

Vergangenen September hatten Moskau und Ankara schon einmal in Sotschi eine Waffenruhe vereinbart. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte versprochen, die Kampfhandlungen einzustellen, wenn Ankara sicherstellen würde, dass sich die verbliebenen Rebellengruppen friedlich verhalten. Schwere Waffen und Kämpfer sollten aus einer Pufferzone zurückgezogen werden. Aus russischer Sicht aber hatte Ankara zu wenig auf die Rebellen eingewirkt. Die Zeit hatte die als Terrororganisation eingestufte Hayat Tahrir al-Sham (HTS) genutzt, um die Region unter ihre Kontrolle zu bringen. Die russische Luftwaffe hat daraufhin wieder Angriffe geflogen und dabei auch Krankenhäuser bombardiert.

Tausende Zivilisten auf der Flucht

Aufgrund der neuen Spannungen sind derzeit tausende Zivilisten auf der Flucht in Richtung Türkei. Laut Uno befinden sich bereits 300.000 Menschen in Flüchtlingslagern nahe der türkischen Grenze. Es könnten bis zu zwei Millionen werden – für die Türkei wäre das eine kaum zu stemmende Bürde. Das Land hat bereits rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Bisher verlief der Prozess relativ spannungsfrei. Seitdem aber die türkische Wirtschaft in einer Rezession steckt, verschärfen sich die Probleme. Ein erneuter Flüchtlingsstrom würde Präsident Tayyip Erdoğan innenpolitisch massiv unter Druck setzen.

Das wiederum verleiht Russland Macht in einer anderen Frage. Am Mittwoch nämlich unterstrich Erdoğan nochmals den Kauf des russischen Raketenabwehrsystems S-400: "Ich sagte nicht, dass die Türkei das System kaufen wird, ich sage: Wir haben es bereits gekauft." Auch Moskau hatte in den vergangenen Tagen betont, man stehe zu dem Geschäft, im Juli werde das System geliefert. Damit steuert alles auf eine Eskalation mit Washington zu.

Nato-Mitgliedschaft gefährdet

Das Pentagon hat bereits angekündigt, die Türkei aus dem F35-Programm zu werfen. Türkische Piloten sollen nicht mehr für den Kampfjet trainiert, und die Türkei aus den Lieferketten ausgeschlossen werden. Im Extremfall könnte sogar die Nato-Mitgliedschaft der Türkei auf dem Spiel stehen. Türkische Kommentatoren meinen, die USA wollen Ankara zeigen, dass sie bereit sind, das Risiko einzugehen, die Türkei als Verbündeten zu verlieren. Ankara dagegen versucht Washington klarzumachen, dass es auch andere Optionen hat. Bisher aber hat dieses Poker-Spiel nur einen Gewinner, und der sitzt in Moskau. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 14.6.2019)