Die politischen Umwälzungen der vergangenen Wochen haben für frischen Wind gesorgt. Nein, nicht weil plötzlich eine Expertenregierung im Amt ist, sondern weil in Österreich auf einmal echter Parlamentarismus gelebt wird. Ohne fix vereinbarte Parteienkoalition und im freien Spiel der Kräfte zeichnen sich für einige sinnvolle Maßnahmen Mehrheiten im Nationalrat ab. Dazu gehören der überfällige Rechtsanspruch auf den Papamonat, das Rauchverbot in der Gastronomie und das Verbot des giftigen Pflanzenschutzmittels Glyphosat.

Wichtiger noch als diese Entscheidungen ist, dass das Parlament wieder zu einem Forum geworden ist, in dem politische Entscheidungen getroffen werden. Der politische Alltag in Österreich sieht doch seit Jahrzehnten so aus: Im stillen Kämmerchen vereinbaren zwei Parteien einen Koalitionspakt. In der Folge handeln die zuständigen Ministerien ein Gesetz nach dem anderen aus. Die Abgeordneten im Parlament haben danach bloß die Aufgabe, die fertigen Regelungen abzunicken.

Dagegen können die Bürger nun live zusehen, wie über Gesetzesanträge diskutiert und gestritten wird, die dank wechselnder Mehrheiten auch wirklich beschlossen werden können. Die Spannung ist groß, weil nicht feststeht, welche Mehrheit sich als nächste im Parlament findet: SPÖ und FPÖ machen ebenso gemeinsame Sache wie ÖVP, SPÖ, Neos und Liste Jetzt – und natürlich auch ÖVP und FPÖ. Diese Konstellation bietet die perfekte Bühne für junge Talente, für die Hinterbänkler im Nationalrat, die nun mit flammenden Reden oder klugen Anträgen auf sich aufmerksam machen können. Die medialen Scheinwerfer sind endlich einmal auf den Nationalrat gerichtet.

Reformprojekte

Nun gibt es viele Einwände gegen das freie Spiel der Kräfte. Einer lautet, dass die Parteien auch Gesetze beschließen, bei denen sie nur auf die Außenwirkung achten, weniger auf den Inhalt. Das Verbot von Wasserprivatisierungen in die Verfassung zu schreiben ist tatsächlich unnötig, die Wasserreserven sind ohnehin geschützt. Doch Gesetze auf den Weg zu bringen, die wenig ändern, aber gut klingen: Das haben schon viele Regierungen vorgelebt. In diesem Punkt ändert sich gar nichts.

Ein anderer Einwand lautet, dass Parteien dazu verleitet sind, unverantwortlich zu handeln, weil sie so kurz vor der Wahl teure Wahlgeschenke beschließen. In der Tat gibt es Belege aus der Vergangenheit dafür: etwa teure Pensionserhöhungen aus dem Jahr 2008, die bis heute nachwirken.

Aber die Kritiker übersehen hier etwas. Die Gegner teurer Reformprojekte können ihre Argumente im Wahlkampf vorbringen. Die Bürger werden dann selbst entscheiden, ob sie darauf hören. Sie müssen die Konsequenzen ihrer Entscheidungen tragen, brauchen aber keine Bevormundung. Das freie Spiel der Kräfte wird bald wieder enden, eine neue Regierung das Zepter übernehmen. Wenn ein Weg gefunden werden kann, der das Parlament langfristig wieder aufwertet, würde das Österreichs Demokratie guttun. (András Szigetvari, 13.6.2019)