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John Harvard blickt heute als Statue über die von ihm gestiftete Universität.

Foto: AP / Charles Krupa

Wien – Als der französische Intellektuelle Alexis de Tocqueville in den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts die relativ jungen Vereinigten Staaten bereiste, stellte er erstaunt fest, wie viele private Vereine es gab, die soziale Zwecke verfolgten.

Zwar wurde die "vermögende Klasse" in dieser, für damalige Zeiten ungewöhnlichen, Demokratie politisch entmachtet, dafür würde eine heranwachsende "Aristokratie von Fabrikanten" über privaten Institutionen ihren kulturellen und politischen Einfluss geltend machen, analysierte der Franzose – eine weitsichtige Einschätzung.

Die großen Industrievermögen, die sich im 19. Jahrhundert auftürmten, speisten oft wohltätige Stiftungen. Das hatte sowohl pragmatische als auch moralische Gründe. Vor allem im Norden und Osten des Landes, wie in Neuengland, wurden steuerliche Begünstigungen für solche Stiftungen eingeführt. Sie dienten Großunternehmern als Dreh- und Angelpunkt für philanthropische Aktivitäten, aber auch als langfristige Geldanlage.

Die Rolle der Superreichen

Wie der Historiker Peter Dobkin Hall schreibt: Es war kein Zufall, dass die renommierte Harvard-Universität, ausgestattet mit dem üppigen Stiftungsvermögen ihres Namensgebers, auch Teil der Keimzelle des Investmentbankings war. Denn das Kapital der Stiftung wurde wiederum strategisch in den Textil- und Eisenbahnsektor investiert. Noch heute speist sich die Harvard-Universität aus einem der weltgrößten Stiftungsfonds von knapp 40 Milliarden Dollar (35 Mrd. Euro).

Das moralische Fundament für die Rolle des Superreichen als Philanthrop lieferte Andrew Carnegie. 1835 in einfache Verhältnisse geboren, stieg er zu einem der reichsten Menschen der Welt auf.

Arbeiteraufstände während dieser Zeit überzeugten den Eisenbahn- und Stahlmagnaten, dass industrieller Fortschritt unweigerlich mit wachsender sozialer Ungleichheit einherging. Darin sah er das Potenzial für große soziale Krisen, die das ganze System stürzen könnten. Um den Kapitalismus zu retten, wollte Carnegie ihn verändern, beschreibt es Hull.

In einem Essay forderte Carnegie von den Reichen seiner Ära wie J. P. Morgan, John D. Rockefeller, Cornelius Vanderbilt und Co, ihr Geld und Genie verstärkt für wohltätige Zwecke einzusetzen. Statt nur an arme Leute zu spenden, sollten sie ihre finanzielle Macht gezielt dafür einsetzen, Chancengleichheit zu ermöglichen. Viele Industriekapitäne folgten dem Ruf.

Neben Schulen, Büchereien oder Universitäten, etablierten sie dauerhafte, wohltätige Stiftungen, die ihre Mission im Dienste der Menschheit erfüllen sollten. Die damals aufgebauten Universitäten dominieren noch heute die Toprankings, die Stiftungen vergeben Stipendien an Schüler und Studenten aus benachteiligten Verhältnissen.

Der revisionistische Historiker Howard Zinn liefert eine andere Sichtweise: Die Unis der Philanthropen hätten nicht kritischen Widerspruch gefördert. Stattdessen hätten sie den "Mittelmann des amerikanischen Systems" ausgebildet – Anwälte, Bürokratien, Ingenieure, Ärzte und Politiker. All jene, die dafür bezahlt würden, das System am Laufen zu halten – als loyaler Puffer für die Räuberbarone gegen Widerstand von unten.

Diese Einstellung teilten seinerzeit auch die Gewerkschaften und Bauernvertreter, die in einer "populistischen Allianz" dagegen lobbyierten, dass die großen Stiftungsgründer zu viel Spielraum erhalten – mit bedingtem Erfolg. Das Echo dieses Konflikts hallt bis heute nach. (slp, 14.6.2019)