Klimts Typ "Femme fatale": gemalt ("Judith I", 1901) ...

Foto: Belvedere

... und gezeichnet ("Damenbrustbild von vorne", 1898).

Foto: Im Kinsky

Theoretisch gehört Gustav Klimt zu den am besten erforschten Künstlern der österreichischen Moderne. Gemessen an den Tonnen von Publikationen jedenfalls. Praktisch vergeht kaum ein Jahr ohne neue Erkenntnisse. Dabei geht es um Feinheiten, die von Experten zuvor anders interpretiert oder nicht beleuchtet wurden, wie ein aktuelles Beispiel zeigt.

Im Detail werden Ähnlichkeiten deutlich: zwischen den Gesichtszügen der Zeichnung ("Damenbrustbild von vorne", ca. 1898) und dem Gemälde ("Judith I", 1901), ergänzt um eine Aufnahme Anna von Mildenburgs (ca. 1904).
Foto: Im Kinsky, Belvedere, Österreichisches Theatermuseum

Am Montag gelangt bei "im Kinsky" eine Porträtzeichnung zur Versteigerung, die bisher als autonomes Werk ohne Zusammenhang zu einer Person oder einem Gemälde galt. STANDARD-Recherchen legen eine andere These nahe. Demnach dürfte das "Damenbrustbild von vorne" für ein berühmtes Gemälde Klimts Pate gestanden sein: für "Judith I" (1901) aus dem Belvedere.

"Missing Link"

Dafür sprechen auffällige Ähnlichkeiten der Gesichtszüge, etwa die Gesichtsform, die Augenpartie samt der spezifisch geschwungenen Braue oder auch die Nase. Merkmale, die wohl auch einer anthropologischen Prüfung stand halten dürften. Die Kunsthistorikerin Marian Bisanz-Prakken, Expertin für Klimt-Zeichnungen, die auch den Katalogtext für den Auktionskatalog verfasste, reagiert auf Anfrage skeptisch. Dass Klimt für seine Judith auf den um 1898 in der Zeichnung kreierten "Typus" zurückgriff, will sie jedoch nicht ausschließen.

Anders reagiert Alfred Weidinger, der international anerkannte Experte für Gemälde Klimts: "Exzellente Beobachtung", die Verwandtschaft sei offenkundig und ergänze darüber hinaus eine 2012 von ihm publizierte Annahme. Konkret ging es dabei um die Identität der realen "Femme fatale", die Klimt für seine mythologische vor Augen gehabt haben dürfte. Diese Zeichnung sei nun der "Missing Link" und bestätige, dass es sich um eine gewisse Anna von Mildenburg handelte, ist er überzeugt.

Modelle blieben anonym

Zum besseren Verständnis: Sieht man von den Porträtgemälden ab, die Klimt auf Auftrag schuf, konnten bislang nur wenige Modelle identifiziert werden. Die Mehrheit blieb anonym. Als 1967 (Novotny/Dobai) das erste Werkverzeichnis erschien, waren alle längst verstorben: Klimt, die Musen und auch die Sammler, die oft über entsprechende Informationen verfügten. Damit ging auch Wissen verloren, das sporadisch rückwirkend rekonstruiert werden kann.

Etwa im Falle des noch 1967 als "Damenbildnis" (1917/18) bezeichneten Ölgemäldes, für das der Zeitzeuge Erich Lederer Anfang der 1980er-Jahre jene Anhaltspunkte lieferte, die Alice Strobl (Autorin des Werkverzeichnisses der Zeichnungen) eine Identifikation der Dargestellten als Lederers Cousine Ria Munk ermöglichte.

Zu den jüngeren Fällen gehört das Bild "Mädchen im Grünen", für das Marian Bisanz-Prakken die Dargestellte (wie 2017 berichtet) identifizieren konnte: Maria Ucicka, wie der Abgleich mit einer einer Fotografie Ucickas und einer Zeichnung aus dem Bestand der Klimt-Foundation ergab.

Affäre Mildenburg

Zurück zu Anna von Mildenburg. Im Falle der Sopranistin waren es zeitgenössische Gerüchte, die mit der Ausstellung der "Judith I" 1901 zu kursieren begannen, die einen Hinweis lieferten. Die gefeierte Wagner-Interpretin und spätere Ehefrau von Hermann Bahr war kein Kind von Traurigkeit.

Bis 1897 hatte sie eine Liaison mit Gustav Mahler, der sie 1898 an die Hofoper nach Wien holte. Zu den zahlreichen Affären, die man ihr andichtete, gehörte auch eine mit Klimt. Den Beweis für das Pantscherl dürften schließlich Judiths Gesichtszüge beschert haben. Einerlei.

Ähnlichkeiten zu Mildenburg finden sich auch in der Porträtzeichnung, die eine weitere Gemeinsamkeit mit dem Judith-Gemälde hat: Beide Werke waren einst im Besitz des Sanatoriumsbesitzers Anton Löw, der die Zeichnung zusammen mit anderen 1903 seiner Tochter überließ: Gerta, verehelichte Felsövanyi, die der familiären Überlieferung nach eine Opernnärrin gewesen sei. (Olga Kronsteiner, 14.6.2019)