Die im Jahr 1982 abgeschickte Postkarte aus dem Nachlass der Familie des Autors.

Foto: Pollack

In einem sehr persönlichen Gastkommentar zeigt der Journalist und Autor Martin Pollack auf, was H.-C. Straches "Jetzt erst recht!"-Slogan bedeutet.

Es war nicht anders zu erwarten. Noch bei der Pressekonferenz von Heinz-Christian Strache nach dem Ibiza-Video, bei der er seinen Rücktritt von allen Ämtern ankündigte und larmoyant ein wenig Selbstkritik übte, stilisierte er sich zum Opfer einer Kampagne dunkler Mächte. Einsicht und Reue hören sich anders an. Doch die sind nun einmal nicht Sache der Rechten und Rechtsextremen, das waren sie nie. Wann immer Anhänger der FPÖ bei etwas ertappt werden, und das geschieht oft, flüchten sie sich in die Täter-Opfer-Umkehr. Die beherrschen sie besser als irgendwer sonst. "Jetzt erst recht!" lautet dann die Devise, jetzt erst recht wollen sie wieder an die Macht.

Strache und Co haben sich nie etwas vorzuwerfen, sie tragen höchstens "eine gewisse Mitschuld" an Vorgängen wie jenen in Ibiza, doch diese Mitschuld wiegt nicht schwer, sie wird von Tag zu Tag kleiner geredet. Natürlich hatte Strache nie Böses im Sinn, so wie er nie etwas mit Neonazismus und Rechtsradikalismus zu tun hatte. Fotos und anderes Beweismaterial, die Gegenteiliges aussagen, wie eine kürzlich aufgetauchte Ansichtskarte mit "Deutschen Heilgrüßen" und "Heil Deutschland", die Strache 1990 verschickte, sind belanglos oder werden bös falsch interpretiert. Auf jeden Fall ist Strache ein Opfer.

Muffige Propagandakiste

Die Täter-Opfer-Umkehr ist eine klassische Methode der Rechten, mit der sie sich gegen Anschuldigungen zur Wehr setzen, ganz egal, worum es geht. Strache greift dabei ungeniert in die muffige Propagandakiste seiner geistigen Vorbilder, die sich derselben Argumentation bedienten. Die Rechten müssen sich immer zur Wehr setzen, die Angreifer sind grundsätzlich die anderen, Strache und Seinesgleichen sind die ewigen Opfer.

Dieser Diskurs ist nicht neu, er reicht zurück bis zu den Nationalsozialisten und weiter, und er hatte auch nach 1945 Hochkonjunktur, als die ehemaligen Nazis sich als die eigentlichen Opfer darstellten, denen schweres Unrecht widerfahren war. Das ermächtigte sie in ihren Augen, wieder in der Politik mitzumischen. Jetzt erst recht!

Ich kenne dieses Lamento aus meiner Familie väterlicherseits. In der waren alle unbelehrbare Nazis, manche auch Täter. Doch nach dem Krieg waren sie mit einem Mal Verfolgte, Opfer eines Unrechtsregimes. Einsicht oder Reue kannten sie keine. Sie nahmen nie etwas zurück, weil sie überzeugt waren, im Recht zu sein.

Im Nachlass meiner Familie fand ich eine Postkarte, gerichtet an meinen Onkel Gunther, Mitglied der schlagenden Burschenschaft Olympia. Auf der Vorderseite sieht man zwei sehnige Schwurhände aus Stacheldraht ragen, dahinter lodern Flammen hoch. Darunter steht: "Nun erst recht!" Ich nehme nicht an, dass Strache und seine Freunde dieses Motiv kennen, obwohl man das nicht ausschließen kann.

Dichterstein Offenhausen

Die Karte wurde 1982 geschrieben. Aus einem Text auf der Rückseite geht hervor, dass sie verkauft wurde zur Unterstützung des Vereins Dichterstein Offenhausen, benannt nach einem kleinen Ort in der Nähe von Wels, wo Neonazis eine "altdeutsche Weihestätte" errichtet hatten, eben besagten Dichterstein. Dieser diente jahrelang als Begegnungsstätte für rechtsextreme Autoren, bis der Verein nach zahlreichen Protesten 1999 wegen NS-Wiederbetätigung aufgelöst wurde.

Der Dichterstein Offenhausen ist Gott sei Dank in Vergessenheit geraten, doch die dort zum Ausdruck gebrachte Gesinnung lebt fort. Bemerkenswert erscheint mir, dass die Karte bereits wichtige Elemente der Misere enthält, die uns bis heute zu schaffen macht: die unbeirrbare Hinwendung zum Nationalsozialismus, die hier bildlich gestaltete Täter-Opfer-Umkehr sowie die Losung: "Nun erst recht!" (Martin Pollack, 14.6.2019)