Der Weg zum Wohlstand ist nicht einfach. Nicht alle wollen darauf warten, bis es so weit ist. Viele Serben verlassen ihre Heimat und versuchen anderswo ihr Glück.

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Präsident Aleksandar Vucic lächelt stets zufrieden, wenn er in seinem betont pathetischen Ton davon spricht, wie sehr Serbiens Wirtschaft unter seiner Führung wachse. "Serbien ist unter den Top-10-Volkswirtschaften in Europa, wenn es um das Wachstum geht", sagte auch Finanzminister Sinisa Mali kürzlich. Man sei demnach so erfolgreich, dass man nicht mehr länger mit anderen Volkswirtschaften in der Region in Konkurrenz sei.

Serbiens Wirtschaft ist 2018 um 4,3 Prozent gewachsen. In unmittelbarer Nachbarschaft, in Montenegro, war das Wachstum noch größer. Langfristig ist Serbien trotz der Regierungspropaganda keineswegs auf der Überholspur.

Das Wirtschaftswachstum im Vorjahr sei "hauptsächlich auf die Erholung der landwirtschaftlichen Produktion und die Stromerzeugung zurückzuführen", erklärt etwa der Ökonom Vladimir Gligorov, der Doyen der Wirtschaftswissenschaften für Südosteuropa. Die Landwirtschaft aber sei in hohem Maße vom Wetter abhängig. Wenn man das einrechne, liege das Wachstum bei rund drei Prozent. Mehr wäre auch für 2019 nicht zu erwarten, sagt Gligorov. Der Grund: fehlende Investitionen, vor allem in Serbien selbst.

Staatliche Zuschüsse

Die Politik würde auch gar keine Änderungsvorschläge vorbringen, im Gegenteil. Tatsächlich fuße die Wirtschaftspolitik von Vucic darauf, mittels staatlicher Zuschüsse das Steuer in der Hand zu halten. "Herr Vucic ist sehr daran interessiert, als Hauptinvestor in Serbien gesehen zu werden", meint Gligorov. Vor allem ausländische Unternehmen würden großzügig gefördert. "Die Korruption, die dieses System unterstützt, ist eindeutig etwas, womit die Parteien an der Macht zufrieden sind", bemerkt Gligorov.

Auch die EU-Kommission moniert in ihrem jüngsten Länderbericht, dass Serbien sein System für staatliche Subventionen in Einklang mit dem bestehenden EU-Abkommen bringen sollte: "Der Staat ist in der Wirtschaft nach wie vor stark vertreten, und der Privatsektor ist unterentwickelt und wird durch Schwächen in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und die Durchsetzung eines fairen Wettbewerbs behindert."

Das Heft in der Hand

Nationalbankpräsidentin Gordana Tabakovic hat kürzlich einen Sieben-Punkte-Plan erstellt. Dazu gehören auch Strukturreformen. Gligorov denkt, dass es schwierig sein wird, diese "den regierenden Parteien zu verkaufen". Diese wollten "die Kontrolle über das Staatsvermögen" behalten.

Sowohl Vucic als auch Tabakovic sind für eine Erhöhung der Löhne, um den Konsum anzukurbeln, sagt Gligorov. Dies könne aber die Handels- und Leistungsbilanzdefizite in die Höhe treiben. Möglich sei auch eine Senkung der Körperschaftssteuer.

Manche Analysten stellen Serbien gar kein gutes Gesamtzeugnis aus. Insgesamt liegt das Bruttoinlandsprodukt Serbiens bei 37 Prozent des EU-Durchschnitts. Gelobt wird von Finanzgebern wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) die Sparpolitik der Regierung, weil sich der Finanzhaushalt stark stabilisiert hat. Doch Ökonomen wie Gligorov sehen darin auch ein Problem. Die Kürzung der Gehälter von Beamten und Pensionen habe die Emigration weiter befördert.

"Das Hauptproblem in Serbien und auf dem gesamten Balkan ist der Bevölkerungsrückgang, was bedeutet, dass das Wachstum zunehmend von der Produktivität abhängt", sagte Gligorov zum STANDARD. Er kritisiert, dass sich kein Vorschlag der Politik – außer die allgemeine Unterstützung der Digitalisierung – wirklich mit der Massenabwanderung beschäftigt.

Fehlende Arbeitskräfte

Jedes Jahr verlassen zehntausende Serben das Land, die meisten gehen nach Deutschland. Der Braindrain hat ein gefährliches Ausmaß erreicht, es fehlen bereits Arbeitskräfte in manchen Bereichen.

Insgesamt ist der serbische Markt bereits in hohem Ausmaß in die EU integriert. 73 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen kamen in den letzten acht Jahren aus der EU. Fast drei Viertel dieser Investitionen werden in Unternehmen erwirtschaftet, deren Hauptsitze sich in der EU befinden – sie beschäftigen 200.000 serbische Staatsbürger.

Schon in jugoslawischer Zeit war der wirtschaftliche Austausch mit Mittel- und Westeuropa zentral. Heute gehen 66 Prozent der Exporte in die EU, 62 Prozent der Importe kommen von dort. Die Ausfuhren in die Union haben sich zuletzt verdreifacht. Wichtigste Handelspartner sind Deutschland und Italien.

Die Einstellung der Bürger ist dennoch weniger proeuropäisch als in allen anderen Balkanstaaten. Nur 47 Prozent unterstützten laut einer Umfrage des serbischen EU-Integrationsbüros 2016 einen EU-Beitritt. Die Zahlen haben sich nicht verbessert. Laut dem letzten Balkan-Barometer aus 2018 finden nur 29 Prozent der serbischen Staatsbürger, ein EU-Beitritt sei eine gute Sache. Im Kosovo und in Albanien sind es über 80 Prozent. 32 Prozent der serbischen Befragten denken, dass Serbien ohnehin nie Teil der EU werde. In keinem anderen südosteuropäischen Staat sind die Leute derartig wenig interessiert an der Wirtschaft ihrer Nachbarn wie in Serbien.

Woher die Hilfsgelder kommen

Viele glauben zudem der prorussischen Propaganda, wonach Moskau die meisten Hilfsgelder überweisen würde – de facto ist das die EU. Tatsächlich spielt Russland wegen des vor zehn Jahren erfolgten Ankaufs von 51 Prozent des Erdölkonzern Nis eine immer wichtigere Rolle. Das gilt auch für das Nachfolgeprojekt der abgesagten Southstream-Pipeline, die Gastrans. Über diese Leitung soll nun doch Gazprom-Gas nach Mitteleuropa gebracht werden. Die Energiegemeinschaft betont allerdings, dass die neue Pipeline EU-Regeln, die Serbien einzuhalten hat, widerspreche.

Bei einem Treffen zwischen Vucic und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kürzlich in Peking betonte Putin wieder, wie wichtig die Pipeline für ihn sei, und lobte die Zusammenarbeit mit Serbien. Auch das ist nichts Neues: Bereits in jugoslawischer Zeit versuchte die Führung mittels einer Schaukelpolitik zwischen Russland und dem Westen, für sich die besten Konditionen zu sichern. (Adelheid Wölfl, 15.6.2019)