Behemoth demonstrierten, dass man Zeichensprache auch in der Hölle versteht.

Foto: APA/Herbert P. Oczeret

Die Smashing Pumpkins um Sänger Billy Corgan eröffneten die Melancholiker-Spiele.

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The Cure um Frontmann Robert Smith klingen auch nach 40 Bestandsjahren glasklar.

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Slayer verschossen ihr (vorerst) letztes Pulver. Rücktritt vom Rücktritt nur auf Satans Befehl.

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Nickelsdorf – Die Behauptung, sich im Dreck wälzende Festivalbesucher würden sich gedankenloser Beschmutzung hingeben, muss entschieden zurückweisen werden. Es geht vielmehr um eine innere Reinung, die Sau wird im wahrsten Sinne herausgelassen, so mancher Affektstau gelöst – auch wenn das im Einzelfall heißen mag, sich bei 40 Grad Temperatur in ein Gorillakostüm mit Umschnalldildo zu hüllen und der Begattung wehrloser Absperrgitter nachzugehen. Es gibt dies ebenso wie Menschen, die lieber für ein paar Tage in die Dienstuniform des Heiligen Nikolaus schlüpfen, um anderen Menschen über einen Schlauch aus ihrem Bischofsstab diverse Alkoholika zuzuführen. Alles gesehen!

Hingegrunzte Choralsgesänge

Die Leidenschaft für Bischofskostüme in superschickem Schwarz teilen normalerweise auch die Mitglieder der polnischen Satanisten-Metal-Band Behemoth. Bei ihrem freitäglichen Auftritt am Nova Rock Festival in Nickelsdorf beschränkte man sich aber auf einfachere Kutten. Sänger Adam Darski wirkte mit Kapuze und Schminke wie ein neuer Sith-Lord aus "Star Wars" Episode 23, sein Bassist wie ein genmutierter Djinn aus der Splattervariante von "Aladdin und die Wunderlampe". Wohliges Gruseln stellte sich vor allem dann ein, wenn unter den Terrorgitarren und dem Todesschlagzeug schön hingegrunzte Choralgesänge das Licht der Welt erblickten. Fein auch die Videokunst in Riefenstahl-Optik, die uns Nicht-Römern noch einmal die Kulturtechnik der Kreuzigung in allen Details vor Augen führte. Am Ende wurde noch Theaterblut gespuckt.

Tanzbein-Punk mit Dudelsack

Echtes Blut soll hingegen schon bei Konzerten der amerikanischen Irish-Folk-Punkband Dropkick Murphys geflossen sein. Es geht die Mär, dass sich Fans der Stimmungskanonen nicht nur – wie bei der Stilrichtung üblich – im Rempeltanz Pogo betätigen, sondern sich durchaus schon einmal freundschaftlich eine Gestreckte mitgeben. Aber keine Spur davon am Nova Rock. Die Murphys erfreuten ein friedliebendes Publikum, das an diesem Abend mit Abstand das größte bleiben sollte. Auf Tanzbein-Punk mit Dudelsack, Akkordeon, Tin Whistle und Banjo ist eben Verlass.

Apropos: Der Rest des Abends gehörte längst kanonisierten Künstlern, die in ihren jeweiligen Nischen enormen künstlerischen Einfluss auf nachfolgende Bands hatten – und bis heute zuverlässig abliefern. Die Smashing Pumpkins traten zu Händels "Sarabande" auf die düster-minimalistische Bühne und ließen all ihre artifiziellen Indiehits und wunderbar traurigen Balladen aus den 90er-Jahren Revue passieren. Zuletzt erschien 2018 nach längerer Pause eine LP, die Kritiker begeisterte. Der neue Song "Solara" zündete auch beim Nova Rock.

Smashing Pumpkins

Kaum denkbar wäre der Sound der Smashing Pumpinks wohl ohne die Vorarbeit der Dark-Wave-Gottheiten The Cure. Die ikonische Formation rund um Chefmelancholiker Robert Smith spielte als Headliner zeitgleich mit den Thrash-Metal-Großvätern Slayer. Keine leichte Entscheidung für das Publikum, das sich schließlich bei beiden Konzerten in müder Zurückhaltung übte. Zu Unrecht. Denn Smith glänzte mit glasklarer Stimme in allen Lagen und Slayer droschen ihre Gerätschaften, als ginge es ums nackte Überleben.

Impression und Expression

The Cure und Slayer stehen beispielhaft für zwei verschiedene Strategien der Rockmusik, mit Unzufriedenheit umzugehen. The Cure sind Introspektion, der melancholisch-romantische Rückzug ins Innere, ins Eigene, Slayer hingegen sind Aggression, Expression, die Wut, die nach außen drängt. Beide Bands stehen im Spätherbst ihres Schaffens, doch nur einer, The Cure, wird es vergönnt sein, auf der Bühne einigermaßen würdig das Greisenalter zu erreichen. Slayer, deren rücksichtsloser musikalischer Dauerkampf gegen Mensch und Maschine irgendwann ihren Tribut fordert, bringen sich lieber selbst zum Schweigen. Ihr Konzert war das letzte in Österreich, ihre Tour soll die letzte der Bandgeschichte sein. Viele verneigen sich. Manche wälzen sich im Dreck. Beides ist erlaubt. (Stefan Weiss, 15.6.2019)