Neapel kann weit mehr als nur Pizza. Stolz, wie die Neapolitaner sind, erzählen sie gern, dass die Franzosen das Kochen eigentlich von ihnen gelernt hätten (die Franzosen – und viele andere – sehen das naturgemäß anders). Die Küche, zumindest die traditionelle in den Restaurants, ist viel schwerer und üppiger, als das gängige Süditalien-Klischee vermuten lassen würde: Pasta mit Bohnen oder Pasta mit Kartoffeln sind beides geliebte Standardgerichte.

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Beim Fisch sind vor allem die kleine Fische verbreitet, die frittiert, gebraten oder sauer eingelegt werden, unter den Meerestieren sind die Vongole Veraci, die echten aus dem Golf, die Könige, und so wie überall am nördlichen Mittelmeer wird auch hier ausgiebig dem Genuss von Bacalao, gesalzenem Kabeljau, gefrönt.

Foto: tobias müller

Besonders prächtig ist die Gemüseauswahl: Die Neapolitaner waren in Italien einst als Mangiafoglia, Blätterfresser, verschrien – erst im 19. Jahrhundert eraßen sie sich den Spitznamen Maccaronifresser. Die Märkte gehen immer noch mit Grün-, Rot- oder Blauzeug über: von Artischocken über frische Bohnen, wilde Blätter wie Löwenzahn oder wildem Brokkoli bis hin zu den allgegenwärtigen Paradeisern. Eine Spezialität der Stadt ist Friarielli, eine bittere, erstaunlich komplex schmeckende Kohlart, die so wichtig für die Stadt ist, dass man sagt, ein Neapolitaner sei erst dann erwachsen, wenn ihm Friarielli schmeckt.

Und es gibt natürlich einige kulinarische Schätze, die außerhalb der Stadt fast gänzlich unbekannt sind: etwa köstlich Pasta mit Innereieneintopf oder die pfefferscharfe Suppe der Oktopus-Auskocher. Hier eine kleine Auswahl. Eine Karte mit all den genannten Restaurants und Geschäften gibt es hier auf meiner Website.

Foto: Tobias Müller

Beisln

Neapolitanische Beisln sind schon allein für die Atmosphäre ein Erlebnis: meist bummvoll, laut und herrlich lustvoll und anarchisch. Das Essen schaut meist erfreulich un-Instragram-tauglich aus, schmeckt aber ziemlich verlässlich ziemlich gut – auch wenn es oft schwere Kost ist: Jahrhundertealtes Arme-Leute-Essen wie Pasta mit Bohnen, Pasta mit Kartoffeln oder Endiviensuppe mit getrocknetem Brot gehören immer noch zu den Lieblingsgerichten der Neapolitaner. Antipasti, Primi, Secondi und Wein kommen sehr selten auf mehr als 15 Euro pro Person. Der Primo ist der wichtigste und größte Gang, oft werden Secondi erst bestellt, wenn der Primo gegessen wurde.

Foto: Tobias Müller

Mein liebstes Beisl liegt ausgerechnet am schicken Vomero: Die Trattoria Malinconico serviert jeden Tag ein anderes Mittagsmenü (besonders gut: Genovese am Dienstag und der göttliche Baccalà am Montag) und stets viele Klassiker. Die Friarielli hier gehören zu den besten der Stadt. Sollte ich je ein neapolitanisches Kochbuch schreiben, ich will es mit dieser Küchencrew tun.

Etwas zentraler gelegen ist Mangi e Bevi, so etwas wie die inoffizielle Kantine der neapolitanischen Universität und ein großer Spaß. Früh und hungrig kommen. Ähnlich wild geht es im Cibi Cotti zu, einem urigen Beisl, das sich ganz hinten im Markt von Mergellina versteckt. Die Spezialität des Hauses ist "Gateau", wie man in Neapel einen deftigen Erdäpfelauflauf bezeichnet. Und das berühmte Nenella im spanischen Quartier wird zwar mittlerweile vornehmlich von Touristen frequentiert, das Essen und die Preise sind aber immer noch anständig, und die Stimmung ist fantastisch.

Tripperia

Wie in allen traditionellen Esskulturen werden auch in Neapel jede Menge Innereien gegessen (das ist eine der vielen Blödheiten, die gern in Wien über die Wiener Küche verbreitet werden, dass ihre Innereienlastigkeit etwas Besonderes sei). Ein eigener Lokaltyp ist auf sie spezialisiert: die Tripperia. Sie ist gut an den hübschen Trippa-Brunnen im Schaufenster oder vor dem Lokal zu erkennen: mannshohe Gestelle, an denen die diversen gekochten Teile aufgehängt und ständig mit tropfendem Wasser benetzt werden, von Kutteln über Füße bis hin zu Köpfen.

Gern gegessen werden Trippa al limone, eine Art Kuttel-Sashimi, bei dem dem Namen zum Trotz eine Auswahl an gekochten Innereien und Kopffleisch mit nichts als einer halben Zitrone serviert wird; Spaghetti mit Kutteln und Parmesan; oder Soffritto, ein scharfer Innereieneintopf aus viel Milz und manchmal auch Lunge und Leber, der ebenfalls auf Pasta serviert wird.

Foto: Tobias Müller

Die berühmteste Tripperia ist wohl Le Zendraglie, direkt in der Altstadt. Das Essen hier ist sehr gut, meine liebste Tripperia ist aber O’Russ, etwas abseits hinter dem Albergo dei Poveri. Trippa al limone und das Soffritto sind meiner Meinung nach die besten der Stadt.

Restaurants

Neapel ist eine arme Stadt, und das merkt man auch beim Essen. In den Beisln schmeckt es meist besser als im Restaurant, und so richtig schicke – und gute – Läden nach westlichem Standard gibt es kaum. Hier ein paar Ausnahmen: Umberto in Chiaia ist eine zuverlässige, gutbürgerliche Institution, ähnlich wie das legendäre Mimi alla Ferrovia nahe des Bahnhofs Garibaldi (Achtung: Die Gegend ist ganz und gar nicht schick). Gleich vis-à-vis vom Umberto liegt die Latteria, die Edelversion eines Beisls mit sehr gutem Essen.

Und ein paar Straßen weiter speist man grundsolide und trinkt hervorragend in der gemütlich gutbürgerlichen Weinbar Vinarium. Wem der Sinn nach Hipster steht: Im Dialetti in Chiaia serviert ein schwedischer Koch, der vorher in New York gearbeitet hat, neapolitanische Klassiker, neu interpretiert, und ausschließlich (sehr trinkbaren) Natural Wine. Klingt gefährlich, schmeckt aber gut.

Cafés

Die Neapolitaner sind sehr stolz auf ihren Kaffee, aber ganz ehrlich, er schmeckt in den meisten Cafés mehr oder weniger gleich: sehr klassisch, dunkelbraun, fast schwarz geröstet, stark und ziemlich bitter. Er wird daher oft bereits vom Barista gezuckert serviert (so wie der Sushi-Meister in Japan bereits Sojasauce und Wasabi appliziert). Wer das nicht will, bestellt ihn "amaro", bitter. Sehr wohl unterscheiden tun sich die Cafés allerdings in ihrem Aussehen, und da sind ein paar Perlen italienischen Designs zu finden. Mein liebstes Café ist das Café do Brasil am Vomero, in dem der Barista seinen Kaffee wie auf einem Altar zubereitet. Ebenfalls sehr super, wenn auch ein wenig überlaufen: das Mexico auf der Piazza Dante im futuristischen 60er-Jahre-Look.

Süßes

Foto: Tobias Müller

Neapel geht über mit Süßigkeiten – leider esse ich aber sehr wenig und nicht besonders gern süß. Daher hier nur ein paar kurze Hinweise: Mennella produziert ein ganz fantastisches Eis, das es in mehreren Filialen zu kaufen gibt. Die Sfogliatella bei Scaturchio sind morgens, wenn sie frisch sind, sehr, sehr gut, auch wenn ich zum Sfogliatella Frollo (in Mürbeteig) rate.

Foto: Tobias Müller

Das berühmtere Ricci (Blätterteig) hat fast immer einen zu harten Teig. Und Popella (http://www.pasticceriapoppella.com) in Sanità ist zu Recht berühmt für seine süchtigmachenden Fiocchi di Neve (Schneeflocken), kleine Brioches, mit gesüßtem Schlagobers gefüllt. Die in Neapel allgegenwärtigen Baba au rhum (je nach Sichtweise haben die Neapolitaner dieses Dessert einst den Franzosen gelehrt oder abgeschaut) ist hier ebenfalls mit Genuss essbar.

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Nur in Neapel

Foto: Tobias Müller

Auf der Via Foria, zwischen der Caserma Garibaldi und dem botanischen Garten, gibt es auf der rechten Seite (stadtauswärts) einen kleinen Kiosk: einen der letzten Oktopuskocher Neapels. Hier wird Oktopussuppe verkauft. Für einen Euro schöpft der Verkäufer eine Tasse Suppe aus einem großen Kessel und schneidet einen Oktopusarm hinein. Das Nachfüllen der Tasse ist gratis. Die Suppe selbst ist ganz erstaunlich scharf von Unmengen an Pfeffer, die Stammkunden würzen gern noch mit extra Chiliöl nach. Die Oktopussuppe ist eine uralte Tradition der Stadt und soll belebend und stärkend wirken. Früher wurde sie besonders gern von Prostituierten im Morgengrauen getrunken.

Am Markt hinter der Porta Capuana gibt es einen weiteren kleinen Kiosk, der vulkanisches, stark schwefelhaltiges Mineralwasser mit Zitronensaft verkauft. Auf Bestellung wird das Wasser mit dem Saft gemischt, was spektakulär schäumt, dann trinkt der Käufer es am besten in einem Zug hinunter – es schmeckt nämlich schauderhaft nach faulen Eiern. Eine weitere uralte neapolitanische Tradition, die sehr gesund sein soll.

Einkaufen

Nach all den Restauranttipps eine kleine Einschränkung: In Neapel wird Ess- und Kochkultur immer noch sehr stark zu Hause, im Privaten zelebriert. (So wie in allen traditionellen Esskulturen mit kleiner oder verarmter Mittelschicht. Deswegen ist es zum Beispiel in weiten Teilen Osteuropas oft so schwer, gute Restaurants zu finden, obwohl man privat teils hervorragend isst.)

Foto: Tobias Müller

Das heißt: die Märkte und Geschäfte sind oft viel toller als die Restaurants. Einkaufen und selber kochen lohnt sich also, vor allem wenn es um teure Zutaten wie frischen Fisch, Meeresfrüchte oder Büffelmozzarella geht. Die Stadt ist voll von Märkten, Ständen und Geschäften – hier einige meiner liebsten.

Foto: Tobias Müller

Der Fischhändler meines Vertrauens ist direkt hinter der Porta San Gennaro, auf der Altstadtseite des prächtigen Tors. Ein paar hundert Meter von hier, auf dem Markt auf der Via Vergini, steht ein fantastischer Muschelhändler: Der Mann verkauft nichts außer Schalentiere (wie übrigens bereits sein Vater vor ihm), darunter rare Köstlichkeiten wie Seescheiden (Patate di mare) und herrliche Vongole Veraci, die "echten" Vongole aus dem Golf. Er ist ein furchtbar netter Kerl und bringt die wichtigste Voraussetzung für richtig gute Ware und Essen mit: Er ist furchtbar stolz auf seine Arbeit.

Foto: Tobias Müller

Sollten Sie zufällig an einem Dienstag gegen elf am Vormittag an der Promenade in Chiaia sein: Bei der Rotanda Diaz landen die Fischer mit ihren kleinen Booten und verkaufen ihre Ware ganz frisch und zu einem Spottpreis.

Für Wurst und Käse empfiehlt sich eher ein Ausflug auf den gutbürgerlichen Vomero. Bei der Piazza Antignano, wo auch einer der schönsten Märkte der Stadt ist, versteckt sich auf der Via Antignano ein kleines Wurst-und-Käse-Geschäft. Dort gibt es einen der besten Büffelmozzarellas der Stadt und eine feine Wurstauswahl. Wer nicht dort hinkommt: Die kleine Kette La Bufala verkauft sehr gute Ware.

Foto: Tobias Müller

Über die Stadt verteilt gibt es mehrere kleine Rotisserien, die ganze Hühner zum Mitnehmen über offenem Holzfeuer rösten und im hinuntertropfenden Fett Kartoffeln braten. Ich habe gute Erfahrungen mit jener auf der Piazza Cavour gemacht, ungefähr auf halbem Weg zwischen dem Ausgang der S-Bahn-Station und dem archäologischen Museum.

Trinken

Jeden Donnerstagabend veranstaltet die Enoteca Sepe in Sanità einen Aperitivo. Der Event hat sich in den vergangenen Jahren zu einer veritablen Straßenparty ausgeweitet. Die Mama kocht, der Bub schenkt Wein von kleinen Bauern um den Vesuv aus, die Menge tanzt und singt zur Livemusik, und die Stimmung ist prächtig. Gehen Sie hin und schauen Sie sich das an. (Tobias Müller, 16.6.2019)