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Erst vor kurzem ist es mir wieder passiert. Ich schau mir gemeinsam mit einer größeren Partie das Champions-League-Finale an, wir sitzen da gemütlich zusammen, und auf einmal ruft einer neben mir nach einem schwachen Schuss: Was ist denn das für eine Schwuchtel? Den hab ich sofort angeredet und ihm gesagt, dass er ein Problem mit mir kriegen wird, wenn er so weitermacht. Es war ihm unangenehm, er hat gesagt: Hey, ich hab ja nicht dich gemeint. Das weiß ich eh, hab ich zurückgegeben, aber trotzdem ist es für mich beleidigend, wenn du so etwas sagst.

"Das ist ein schwuler Pass. Du spielst wie ein Schwuler. Das hört man oft."

Vor drei Jahren hab ich meine Homosexualität als Fußballer öffentlich gemacht. Und ich bin damit in Österreich noch immer mehr oder weniger alleine.

Egger ist seit 2012 Gratkorns rechter Außenverteidiger. Der Verein schloss die Oberliga Mitte (5. Spielklasse) kürzlich als Elfter ab.
Foto: Andy Joe

Das ist ein schwuler Pass. Oder: Du spielst wie ein Schwuler. Das hört man oft. Und jeder weiß, was gemeint ist, weil schwul mit schlecht gleichgesetzt wird. Vor drei Jahren haben unser Kapitän, der Innenverteidiger spielt, und ich bei einem Gegentor nicht so richtig gut ausgeschaut, da sagt unser damaliger Trainer in der Pause zu uns: Ihr zwei da hinten, ihr geht an wie zwei Warme, und wegen euch kriegen wir so ein Gegentor. Da war ich brennheiß. Wenig später hab ich das dem Trainer auch gesagt, und er hat sich gleich entschuldigt.

Natürlich kein Einzelfall

Der nächste Trainer, den wir gehabt haben, sagt dann in der Pause von einem Testspiel: Im zentralen Mittelfeld dürfen wir nicht hingehen wie die Schwulen, da müssen wir reinhauen. Beim ersten Mal hab ich mir noch gedacht, vielleicht war's ja ein Einzelfall, aber es war natürlich keiner. Die Mitspieler haben damals schon gewusst, dass ich schwul bin, aber der neue Trainer wusste es nicht. Unser Kapitän hat gesagt, er regelt das, und er hat dann mit dem Trainer geredet. Der war peinlich berührt und hat sich tausendmal bei mir entschuldigt.

"Homophobe Sprechchöre sind normal, homophobe Spruchbänder sind normal."

Viele überlegen sich nicht, was das bewirken kann, wenn sie reinschreien: Was willst du, du Schwuchtel? Dieses Wording gehört in Österreich im Fußball fast dazu, es fällt niemandem auf. Homophobe Sprechchöre sind normal, homophobe Spruchbänder sind normal. Auch der Reporter im Fernsehen fragt da meistens nicht nach, keiner regt sich darüber ernsthaft auf.

Da braucht es natürlich eine Sensibilisierung. Aber bitte mich nicht falsch zu verstehen. Ich bin keiner, der die ganze Zeit Moralapostel oder Sprachpolizist spielt und mit dem erhobenen Zeigefinger über den Platz läuft und nur registriert, was wer gesagt hat. Gar nicht. Aber ich lasse mir halt auch nichts mehr gefallen.

Es heißt, du musst Eier haben

Im Fußball ist die ritualisierte Männlichkeit ein Problem. Da heißt es dann, dass ein Fußballer ein richtiger Mann sein muss. In Fußballersprache ausgedrückt musst du Eier haben. Schwulen Männern wird oft die Männlichkeit abgesprochen, schwulen Fußballern umso mehr. Von den Fans, von Gegenspielern, auch von Mitspielern. Weil weite Teile der Gesellschaft noch immer klischeehaft denken bzw. Vorurteile haben. Natürlich blödsinnige Vorurteile. Ich zum Beispiel bin ja auch gar nicht für mein kunstfertiges Spiel berüchtigt, sondern für meinen Einsatz. Ich will einfach nur Fußball spielen, will Spaß haben, will mich neunzig Minuten lang voll reinhauen.

"Der Vereinsobmann hat mir versichert, er unterstützt mich, egal was kommt."

Mein Outing in der Mannschaft hab ich plakativ angelegt. Bei einer Geburtstagsfeier sind alle Freundinnen dazugestoßen – und mein damaliger Freund. Ich hab nichts gesagt, hab ihn vor allen anderen einfach angeschmust. Natürlich hat sich das im Verein wie ein Lauffeuer verbreitet. Der Vereinsobmann hat mir versichert, er unterstützt mich, egal was kommt. Er hat gesagt, wenn es zum Beispiel mit einem Mitspieler ein Problem gibt, werde sicher nicht ich gehen, sondern dann muss der Mitspieler gehen.

"Ich wollte mich keine Sekunde länger verstecken", sagt Oliver Egger. "Der Wunsch, glücklich zu sein, war stärker als die Angst vor dem Risiko."
Foto: Regine Hendrich

Im Verein wird nicht blöd geredet. Es ist wie immer. Ich spiel mit den Leuten seit Jahren zusammen. Das sind ja nicht nur Fußballkollegen, einige sind gute Freunde von mir. Ich muss sagen, der FC Gratkorn ist einfach eine geile Mannschaft. Ich tu das nicht, aber tät ich jetzt an einen Wechsel denken, würde das ganze Spiel von vorne beginnen. Die Frage ist: Kommt das überall so positiv an, dass ein bekennender Homosexueller mitkickt? Ich glaube nicht.

Ich war zehn Jahre lang im Nachwuchs von Sturm Graz. Hätte ich es bei Sturm geschafft, wäre es ungleich schwieriger gewesen, den Schritt zu setzen, den ich gesetzt habe. Weil das Risiko größer gewesen wäre. Wenn du bei Sturm oder Hartberg spielst, bestreitest du mit dem Fußball deinen Lebensunterhalt. Das ist dein Hauptberuf. Und da riskierst du mit einem Outing, dass die Grundlage wegbricht. Für mich wäre nur eine relativ kleine Welt untergegangen, hätte ich nicht mehr weiterspielen können. Aber wenn du vielleicht deinen Beruf nicht mehr ausüben kannst? Auch der Druck von Medien oder Fans ist bei einem Profi größer.

"Du musst jedenfalls eine gefestigte Persönlichkeit sein."

Von einer deutschen Bundesliga oder einer englischen Premier League ganz zu schweigen. Da wäre der Druck für eine einzelne Person riesig. Sicher wäre auch das positive Echo, der Zuspruch, enorm. Du musst jedenfalls eine gefestigte Persönlichkeit sein, wenn du damit zurechtkommen willst. Es gibt sicher homosexuelle Fußballstars. Aber ich werfe keinem vor, dass er sich nicht öffentlich outet.

Im Frauensport ist Homosexualität eher akzeptiert als im Männersport. Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass Frauensport – leider – weniger akzeptiert ist als Männersport. Eine paradoxe Situation. Als zwei Spielerinnen vom FC Bayern geheiratet haben, ist das kaum aufgefallen. Man stelle sich vor, zwei Bayern-Spieler würden heiraten. Wie groß wäre da die Aufregung?

Wünschenswert wäre es natürlich. Weil: Okay, ich bin der Oli Egger vom FC Gratkorn. Und ich rede jetzt mit dem STANDARD. Doch wäre ich nicht der Oli Egger, sondern ein österreichischer Teamspieler, wäre die Story natürlich größer und ihre Wirkung ebenfalls. Das wäre ein Superzeichen. Ich kenne freilich keinen schwulen Profifußballer in Österreich. Aus unteren Klassen haben sich zwei, drei gemeldet und mir zu meinem Schritt gratuliert, die haben dazugesagt, dass sie selbst noch nicht so weit sind.

"Der Wunsch, glücklich zu sein, war stärker als die Angst vor dem Risiko."
Foto: Regine Hendrich

Auch ich hab mich jahrelang versteckt, nicht zuletzt vor mir selbst. Ich hab mit niemandem reden können. Ich hab mich allein gefühlt, hab gefühlt, ich gehöre nicht dazu. Die Verunsicherung nimmt da nicht nur zu, sondern schlägt in Selbstverleugnung um. Geoutet hab ich mich mit 22, klar sein müssen hätte es mir mit 17. Aber ich hab mir eingeredet, ich bin nicht schwul, Frau und Kinder, das geht schon.

Am Ende hab ich eine Scheißdraufmentalität entwickelt. Ich wollte mich keine Sekunde länger verstecken. Ich wollte mein Leben selbstbestimmt leben und glücklich sein. Der Wunsch, glücklich zu sein, war stärker als die Angst vor dem Risiko. Ich hab einen tollen Partner, eine Familie, die mich unterstützt, Freunde, meine Fußballkollegen. Kleinkariertheit kann mir nichts anhaben.

Die Sprüche, die ich vor meinem Outing gehört habe, waren nicht direkt an mich gerichtet. Wenn jetzt etwas kommt, zielt es unmittelbar auf meine Person ab. Das ist der Unterschied. Es ist schon vorgekommen, dass ein Gegenspieler gesagt hat: Was willst du denn, du Schwuchtel, du Warmer? Einmal ist beim Gegner einer eingewechselt worden, und ein anderer hat ihm zugerufen: Aufpassen, der greift dir die ganze Zeit an den Hintern!

Als Kranker bezeichnet

Im Kabinentrakt bin ich vor einem Spiel schon als Kranker bezeichnet worden, der wahrscheinlich die anderen in der Mannschaft auch schon angesteckt hat. Und dann musst du neunzig Minuten Fußball spielen, dich aufs Match konzentrieren.

Als Sportler kann man schon neidisch werden auf die Kunst- und Kulturszene, da ist die sexuelle Orientierung kaum ein Thema. Und als Grazer kann man neidisch werden auf Wien, wo Homosexualität viel sichtbarer ist. Da sieht man öfter zwei Männer oder zwei Frauen Hand in Hand gehen, das ist in Graz eine Seltenheit.

Bezeichnend ist ja in Österreich, dass du Politiker in einer Landesregierung sein und gleichzeitig öffentlich von Schwuchteln reden kannst. Und wenn die Kirche zwar Motorräder, Häuser und Tiere segnet, aber nicht die Beziehung zweier Frauen oder zweier Männer, weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Da lob ich mir den FC Gratkorn. Dort werden alle Menschen so akzeptiert, wie sie sind. (Zugehört und aufgezeichnet hat: Fritz Neumann, 17.6.2019)