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Wer als Kind selbstdiszipliniert ist, hat als Erwachsener nachweislich bessere Berufschancen und damit ein höheres Einkommen.

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"Kollaboration und Durchhaltevermögen" überschreiben die SAP-Weiterbildungsexperten Bernd Welz und Guido Grüne ihren Beitrag über "Digital Skills im 21. Jahrhundert" in einer Personalzeitschrift. Als Qualifikation für die Arbeitswelt 4.0 nennen sie auch etwas nicht unbedingt Erwartetes, wenn sie zum Schluss ihrer Ausführungen vermerken: "Dazu gehören nicht nur der routinierte Umgang mit elektronischen Daten und Software sowie Grundkenntnisse in Fragen des Datenschutzes. Sondern auch die Fähigkeit, in abteilungs- und fachübergreifenden Teams zusammenzuarbeiten, Kollaborationsfähigkeit, Durchhaltevermögen, unternehmerisches Denken und Eigeninitiative heißen die Schlüsselqualifikationen, die Mitarbeiter künftig brauchen, um ihre Arbeitgeber wettbewerbsfähig zu halten."

Nun darf das nicht zu dem Schluss verführen, verglichen mit dem Stellenwert des Durchhaltevermögens im zukünftigen Berufsleben seien Intelligenz und Talent nur nebensächliches Beiwerk. Nur, egal wie diese beiden Eigenschaften nun individuell ausgeprägt sind – fehlt es an Beharrlichkeit bei der Aufgabenerledigung oder Zielverfolgung, nützen auch der beeindruckendste Intelligenzquotient und ein noch so herausragendes Talent wenig. Dann haben die, die unverdrossen am Ball bleiben und ans Werk gehen, die Nase vorn. Das besagt der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis.

Das gehört dazu

Und der kommt in den Titeln zweier Veröffentlichungen zum Thema deutlich zum Ausdruck. Matthias Sutter, Professor für angewandte Ökonomie am European University Institute in Florenz und für Experimentelle Wirtschaftsforschung an der Universität Innsbruck, titelt sein Buch unmissverständlich "Die Entdeckung der Geduld – Ausdauer schlägt Talent". Die Neurowissenschafterin Angela Duckworth, Professorin an der Universität von Pennsylvania, wählte mit "Grit, The Power auf Passion und Perseverance" einen vergleichbar hinweisstarken Titel.

Nun ließe sich anmerken: Ausdauer ist alles andere als eine neue Formel zum Erfolg. Bemerkte doch der lebenskluge Goethe schon: "Jedem redlichen Bemühn sei Beharrlichkeit verliehn!" Und was ist Beharrlichkeit anderes als Durchhaltevermögen, unterlegt mit der entsprechenden Geduld? Geduld deshalb, weil zwischen Beharrlichkeit und Verbissenheit ein gewaltiger Unterschied besteht. Das eine bringt weiter, das andere blockiert. Die Sache mit der Bedeutung der Ausdauer ist also nicht neu. Neueren Datums ist ihre wissenschaftliche Bestätigung. Und da es Geduld und Durchhaltevermögen nicht ohne eine gehörige Portion Selbstdisziplin gibt, kommt nun der Mann in den Blick, der diese Zusammenhänge vor rund fünfzig Jahren bahnbrechend erforscht hat: Walter Mischel. Der 1930 in Wien geborene und im September 2018 verstorbene Persönlichkeitspsychologe lehrte als Professor an der Columbia-Universität in New York.

Gut erforschter Zusammenhang

Untrennbar verbunden mit Mischels Namen sind die "Marshmallow-Experimente", Untersuchungen über das Belohnungsverhalten von Kindern. Mit diesen Experimenten konnte Walter Mischel in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren zeigen: Kinder, die in der Lage waren, zugunsten einer etwas größeren Belohnung später auf eine etwas kleinere Belohnung sofort zu verzichten, erwiesen sich auch im weiteren Verlauf ihres Lebens als beharrlicher und – unabhängig von Intelligenz und Talent – in der Tendenz erfolgreicher.

Und dieser Zusammenhang von Erfolg und der Fähigkeit, sich selbst zu disziplinieren und (dadurch) am Ball zu bleiben, ist in zahlreichen Forschungsergebnissen unter unterschiedlichen Aspekten dokumentiert.

Und die stellt Professor Sutter in den elf Kapiteln seines Buches informativ und anregend vor. Dabei stehen die Fragen im Vordergrund: Welche Faktoren beeinflussen geduldige Beharrlichkeit? Welche Zusammenhänge zum Lebensweg dieser Kinder im Erwachsenenalter lassen sich erkennen? Die Antwort lautet: eindeutige. Das Vermögen, sich geduldig und ausdauernd mit einer Sache zu beschäftigen, am Ball zu bleiben, wirkt sich in vielfältiger Hinsicht positiv im Leben aus. Die wohl wichtigste Einsicht dieses Buches, schreibt Sutter, "besteht darin, dass das Ausmaß an Geduld und Selbstkontrolle in der Kindheit eine bemerkenswerte Vorhersagekraft für den weiteren Lebensweg hat".

Bessere Berufschancen, mehr Geld

Demnach, so Sutter, treffen auf selbstdisziplinierte Kinder, die geduldig auf eine zweite Belohnung warten können, anstatt nur eine Belohnung sofort zu nehmen, im Erwachsenenalter im Durchschnitt folgende Aussagen zu:

· Sie sind besser ausgebildet aufgrund besserer Noten in der Schule und eines längeren Durchhaltevermögens in langjährigen Ausbildungsprogrammen.

· Sie haben bessere Berufschancen und damit ein höheres Einkommen, was sie seltener in finanzielle Schwierigkeiten bringt.

· Sie bekommen seltener ungewollt Kinder und sind im Erwachsenenalter weniger häufig Alleinerzieher.

· Sie kommen mit geringerer Wahrscheinlichkeit mit dem Gesetz in Konflikt.

· Sie leiden seltener unter Suchtverhalten wie Spielsucht, Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit.

· Sie haben allgemein einen besseren Gesundheitszustand.

Erkundet und erläutert Sutter explizit bezogen auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse, gleichwohl angenehm zu lesen, in einem breiten Spektrum das Phänomen der Beharrlichkeit, so nimmt sich seine amerikanische Kollegin im Geist, Angela Duckworth, dessen Bedeutung und Pflege mehr im Stil populärwissenschaftlicher US-amerikanischer Publizistik an. Breit unterlegt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, verdeutlicht sie anhand ihrer eigenen Geschichte und einer Fülle ungewöhnlicher Leistungsbiografien, was sie veranlasst hat, sich mit der Wirkung von Beharrlichkeit zu beschäftigen, wie sie erste Erkundungen zu dem sie immer mehr in den Bann ziehenden Thema, dem sie den Namen Grit gab, und dessen lebenspraktischer Relevanz durchgeführt hat. Und wie ihr schließlich immer deutlicher wurde, weshalb diesem Grit eine solch biografisch lenkende Macht innewohnt. Und wie sich Grit in einem Menschen entwickeln lässt und entwickelt.

Öfter aufstehen als fallen

Dieses Grit, umgangssprachlich im Englischen in der Bedeutung von Biss oder Mumm, speist sich Duckworth zufolge maßgeblich aus zwei primären Quellen: Ausdauer und Begeisterungsfähigkeit. Grit zu haben bedeutet, schreibt Duckworth, "einen Fuß vor den anderen zu setzen, an einem interessanten und sinnvollen Ziel festzuhalten. Grit heißt, Tag für Tag, Woche für Woche und Jahr für Jahr in intensives Trainieren und Üben zu investieren. Menschen mit viel Grit stehen einmal öfter auf, als sie gestürzt sind (...) wie es ein altes japanisches Sprichwort sagt: Siebenmal hinfallen, achtmal aufstehen."

Im Blick auf die heranrollende Veränderungswucht der beiden sich etablierenden neuen Basistechnologien Digitalisierung und künstliche Intelligenz sowie die sich daraus herleitenden künftigen beruflichen Anforderungen haben Bernd Welz und Guido Grüne mit ihrem Hinweis auf die Bedeutung des Durchhaltevermögens augenscheinlich ins Schwarze getroffen: Ohne Biss, ohne Ausdauer, ohne Beharrungsvermögen, ohne Geduld bei und Begeisterung für die Sache wird im digitalen Zeitalter dieses Glück schwerlich zu einem gleichermaßen beflügelnden wie stützenden persönlichen Berufsgefühl werden. (Hartmut Volk, 24.6.2019)