Verschiedene Performer auf einer Bühne, unterschiedliche Musikstile, eine Revue, aber keine traditionelle. Ein erster verbaler Erklärungsversuch Bob Dylans endet in Lachen und dem Eingeständnis: "Das ist alles unbeholfener Schwachsinn. Ich habe keine Ahnung, worum es geht." Die Rolling Thunder Revue sei 40 Jahre her, er könne sich an nichts erinnern, aber gut, was wolle man von ihm wissen?

"Wenn jemand eine Maske trägt, sagt er die Wahrheit": Bob Dylan mit seiner "Rolling Thunder Revue".
Foto: Netflix

Die erste von mehreren paradox erhellenden Interview-Aussagen, eingebettet in eine charismatische Live-Version von Mr. Tambourine Man, fungiert als Startschuss. Geöffnet wird ein mythenschweres Kapitel aus der Karriere Dylans, dessen musikalische Qualität seit langem gerühmt wird, dessen filmischer Niederschlag jetzt einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich ist.

Musikalischer Wanderzirkus

Wie mit einem Wanderzirkus tourte Dylan im Herbst 1975 mit Weggefährten wie Joan Baez und Ramblin’ Jack Elliott und Neuzugängen wie David Bowies Gitarrist Mick Ronson durch Neuengland. Statt Arenen standen kurzfristig angekündigte Auftritte in kleinen Hallen auf dem Programm. Beschworen wurde der Gemeinschaftsgeist alter Tage, auf der Setlist fanden sich Songs des noch unveröffentlichten Albums Desire. Mit der Single Hurricane über den zu Unrecht wegen Mordes inhaftierten schwarzen Boxer Rubin Carter gab es auch ein politisches Motiv.

Trailer zu "Rolling Thunder Revue: A Bob Dylan Story By Martin Scorsese".
Netflix

Rolling Thunder Revue: A Bob Dylan Story By Martin Scorsese nennt sich die nach zehnjähriger Arbeit nun von Netflix herausgebrachte Melange aus Fälschung, Dichtung und Wahrheit über Dylans Guerillaprojekt. Keine Konzertaufnahme, kein Interview eröffnet Scorseses vielschichtig angelegten Film, sondern ein Zaubertrick von Georges Méliès, dem ersten Illusionisten des Kinos.

"Trickster" und "Jokerman"

Fokussierte der Regisseur für seinen ersten Dylan-Film No Direction Home (2005) auf die Sixties-Ikone, den Singer-Songwriter in der oft ungeliebten Prophetenrolle, so rückt er jetzt ein anderes Bild in den Vordergrund: Dylan, der "Trickster" und "Jokerman", der sich auf ein meisterhaftes Spiel mit Masken, auf das Jonglieren von Fakten und Fiktionen versteht.

"Im Leben geht es nicht darum, sich selbst oder irgendetwas anderes zu finden, im Leben geht es darum, sich selbst oder andere Dinge zu kreieren", sagt Dylan in einem der Interviewsegmente am Anfang des Films. Und etwas später, angesprochen auf die Schminke, die er während der Rolling Thunder Revue trug: "Wenn jemand eine Maske trägt, sagt er die Wahrheit. Wenn jemand keine Maske trägt, ist das sehr unwahrscheinlich."

Bob Dylan live 1975 mit "A Hard Rain's A-Gonna Fall".
Netflix

Scorsese macht sich diese Prinzipien Dylans für seinen Film zu eigen. Auf den Gipfel treibt er das Spiel mit "in-jokes" und reflexiven Widerhaken in der Figur des grantelnden, vom Performancekünstler Martin Von Haselberg verkörperten Filmemachers Stefan van Dorp. Dieser behauptet, für die historischen Touraufnahmen verantwortlich zu sein, die das Herz des Films ausmachen. Über seine Begegnungen mit Dylan sagt van Dorp im Interview: "Es war, wie man in einen Spiegel schaut: Man sah entweder, was man sehen wollte, oder man hasste, was man sah."

Tatsächlich verdanken sich die rund 110 Stunden Filmmaterial, aus denen Scorsese schöpfen konnte, Dylan selbst. Für sein eigenes, 1978 veröffentlichtes, aus Musik und Spielzsenen destilliertes Epos Renaldo & Clara hatte Dylan bewährte Filmer wie Howard Alk und David Meyers engagiert. Davon ist bei Scorsese ebenso wenig die Rede, wie er die Fiktionalität mancher vermeintlicher Zeitzeugen ausweist, die Fragen zwischen Kunst und Kommerz, Ruhm und Verantwortung verhandeln.

Musik als Hauptattraktion

Wie schon in Dylans Film sind auch bei Scorsese letztlich die Musikszenen am eindringlichsten. Wie eine gespannte Feder agiert Dylan, treibt den Musikantenzirkus durch hochkonzentrierte Versionen von Songs wie Isis, während die Kamera um ihn herumtanzt. Nicht weniger faszinierend ist es, wenn Joni Mitchell bei einer Party Dylan und Gefolgschaft ihren neuen Song Coyote vorspielt. Das wunderbare 16-Millimeter-Filmmaterial scheint bei den Musikszenen zu vibrieren, erlaubt auch einen vollkommen naiven Filmgenuss.

Bob Dylan mit "One More Cup of Coffe". In der zweiten Hauptrolle: Geigerin Scarlet Rivera.
Netflix

Interessanter als die launig inszenierte Frage, ob sich Dylans weißes Make-up tatsächlich Sharon Stones Kiss-T-Shirt oder Marcel Carnés Filmklassiker Kinder des Olymp verdankt, ist ohnehin, was eine Mitmusikerin zu sagen hat. Scarlet Rivera, die mit ihrer Geige akustisch wie visuell fesselte, spricht wohl auch für andere, wenn sie ihre eigene Bühnenaufmachung erklärt: "Mr. Tambourine Man erlaubt uns, zu sein, was immer wir wollen." (Karl Gedlicka, 18.6.2019)