Wolodymyr Selenskyj bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron....

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...und im Brunnen in Mariupol (links).

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Wolodymyr Selenskyj ist anders: Wo andere mitunter krampfhaft um Seriosität bemüht sind, flitzt der 41-Jährige fröhlich durch städtische Springbrunnen und lässt seine Leibwächter hinterher laufen. Ein entsprechendes Video aus der Stadt Mariupol ging am Wochenende viral und rief bei den Betrachtern ein geteiltes Echo zwischen kindischer Freude und Spott hervor. Der Hintergrund ist dabei durchaus ernst: Vor fünf Jahren haben ukrainische Armee und Freiwilligenbataillone in der Stadt am Asowschen Meer die Kontrolle übernommen. Zuvor war der strategisch wichtige Hafen wochenlang in den Händen der prorussischen Separatisten.

Die Rückeroberung Mariupols war einer der wenigen militärischen Erfolge der Ukrainer beim Kampf um die Kontrolle im Donbass. Entsprechend wird das Datum gefeiert. Doch während die Nationalisten – unter anderem der Chef des rechtsextremen Bataillons "Asow" Andrij Biletzkyj – das Jubiläum für einen Aufmarsch nutzten, blieb Selenskyj der Militärparade fern.

Mehr Schlagloch als Straße

Stattdessen eröffnete er mit dem immer noch mächtigen Innenminister Arseni Awakow ein Minenräumungszentrum, nahm Einheiten der Nationalgarde und Flotte in Augenschein, traf sich aber auch mit Klein- und Mittelständlern, denen er Investitionen in den Aufbau der Infrastruktur des Donbass versprach.

Solche Investitionen sind bitter nötig. Die Straßen zwischen Slawjansk und Stanitsa Luhanska oder Wolnowacha und Mariupol sind in grauenhaftem Zustand, ein Schlagloch neben dem anderen machen Autofahrten, mal ganz abgesehen von der militärischen Bedrohungslage, zu einem gefährlichen Abenteuer. Wasser- und Energieversorgung funktionieren nur unzureichend, teilweise durch den fünf Jahre langen Konflikt zerstört, teilweise aber in den Dörfern auch nie aufgebaut oder veraltet.

Schaufenster für den Osten

Die Idee ist also in jedem Fall richtig. Der Aufbau der Infrastrukur, von Straßen, Energieversorgung, aber auch Mobilfunk und Internet könnte zum Treiber der maroden Wirtschaft im Donbass werden, Arbeitsplätze in der kriegsgeschüttelten Region schaffen und den Exodus der Bevölkerung stoppen. Und damit auch für den nicht von Kiew kontrollierten Teil des Donbass zum Schaufenster werden.

Schon Anfang Juni wollte Selenskyj für diese Aufgabe ukrainische Oligarchen in die Pflicht nehmen. Doch auch das Ausland soll dabei helfen. "In Kürze wird es Investitionen in den Donbass geben. Ich spreche mit allen ausländischen Investoren darüber", kündigte Selenskyj in Mariupol an. Konkrete Projekte und Zahlen nannte der ukrainische Präsident dabei nicht.

Wieder miteinander sprechen

Voraussetzung für Investitionen ist eine Entspannung der politischen Lage. Am Montag vermeldete das ukrainische Militär 30 Verstöße gegen den geltenden Waffenstillstand von Seiten der Separatisten, unter anderem mit schweren Waffen. Diese wiederum klagen, dass die Feuerpause von Kiew nicht eingehalten werde.

Trotzdem warb Selenskyj Montag in Frankreich um Investoren – nicht nur für den Donbass, sondern für die gesamte Ukraine. Bei einem Besuch im Start-up-Inkubator "Station F" bei Paris betonte er, dass er die Ukraine zu einem Hightech-Land formen wolle. Die IT-Industrie, in der derzeit 150.000 Menschen beschäftigt seien und die vier Prozent zum BIP beitrage, solle zu einem Treiber der ukrainischen Wirtschaft werden, sagte Selenskyj.

Zugleich versucht er in Paris und Berlin den Verhandlungsprozess wieder in Gang zu bringen. Beide Länder sind Teil des Normandie-Formats, in dem der Minsker Prozess ausgehandelt wurde. Mit Frankreichs Präsident Emanuel Macron hat sich Selenskyj schon während des Wahlkampfs getroffen, bei Merkel hingegen ist Dienstag sein Antritttsbesuch, die deutsche Kanzlerin hatte während der Wahlkampagne nur Petro Poroschenko empfangen.

Keine Bewegung ohne Westen

Ungeachtet dessen will Selenskyj in beiden Hauptstädten Rückendeckung für seine Pläne im Donbass bekommen. Zwar hat er selbst versprochen, den Minsker Friedensprozess fortzusetzen, doch machte Wadym Prystraiko, einer seiner Berater in Berlin bereits klar, Selenskyj sei "weniger an nicht funktionierende Vereinbarungen gebunden als sein Vorgänger, der diese selbst unterschrieben hat." Selenskyj hatte dazu am Wochenende nur angedeutet, dass es Bewegung in der Frage gebe.

Klar ist: Ohne Absprache mit dem Westen wird es im Osten eher keine Bewegung geben. Selenskyj braucht die Unterstützung und den Druck von Merkel und Macron, um bei Wladimir Putin – mit dem er sich bisher noch nicht getroffen hat – überhaupt etwas zu erreichen.

Ob Selenskyj Russland tatsächlich Zugeständnisse in der Frage abringen kann, bleibt aber unklar. Bislang wurden seine Ankündigungen zum Donbass in Moskau – ebenso wie sein Springbrunnenlauf – eher spöttisch aufgenommen: Der Außenpolitiker Alexej Puschkow höhnte: "Wenn ein Staatsoberhaupt nichts machen kann – nicht einmal den Beschuss im Donbass stoppen, dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine Bürger zu unterhalten, auf der Bühne zu tanzen oder durch Springbrunnen zu laufen. (André Ballin aus Moskau, 17.6.2019)