Wien – Sind Räuber in der Nähe, erhöht das die Fruchtbarkeit von Mäusen – der evolutionäre Sinn dieser Reaktion ist nahe liegend: Ist der Bestand von außen bedroht, werden mehr Ressourcen in die Fortpflanzung investiert. Einen wissenschaftlichen Beleg für diesen biologischen Mechanismus haben nun Forscher mit österreichischer Beteiligung nachweisen können: Aus Angst vor dem Gefressenwerden vermehren sich Mäuse schneller, damit ihre Erbinformation nicht aus der Welt verschwindet, berichten die Forscher im Fachjournal "Ecosphere".

Die Forscher um Thorbjörn Sievert von der Universität Jyväskylä in Finnland verschreckten die Männchen von Waldwühlmäusen (Myodes glareolus), indem sie die Nager in ein Gehege mit Mauswieseln (Mustela nivalis) setzten. Sie waren zwar in einem Gitterkäfig und somit von den Fressfeinden getrennt, fürchteten sich freilich trotzdem, was sich in sogenannten Angstpheromonen in ihren Ausscheidungen manifestierte. Das sind Geruchsstoffe, die von anderen Individuen der gleichen Art unbewusst wahrgenommen werden.

Pheromone als Vermehrungssignal

Waldwühlmausweibchen, die Angstpheromone ihrer Artgenossen zu riechen bekommen hatten, wurden zu 85 Prozent schwanger, wenn die Forscher sie mit Männchen zusammensetzten, während das nicht einmal bei halb so vielen Weibchen (37 Prozent) der Kontrollgruppe passierte. Offensichtlich beflügelte die soziale Information der Artgenossen in Form der Angstpheromone, dass Fressfeinde die Gegend unsicher machen, ihr Bestreben, sich zu vermehren. Wenn sie nach einem erfolgreichen Wurf dem Wiesel zum Opfer fallen, sind ihre Gene nämlich immer noch in der Welt, und zwar in ihren Nachkommen.

Andere Mäuseweibchen wurden dem Geruch von Marderfäkalien ausgesetzt, was ihnen ebenfalls die Anwesenheit der Fressfeinde vermittelte und die Reproduktionsstrategie beeinflusste: Ihre Jungen hatten nämlich einen Tag nach der Geburt ein paar Zehntelgramm mehr (2,81 Gramm pro Mäusekind), als jene der Kontrollgruppe (2,44 Gramm).

Wichtige Investition in die Zukunft der Nachkommen

Die Mütter gaben den Kleinen somit mehr von ihren Ressourcen ab, meinen die Forscher, zu denen auch Rupert Palme von der Abteilung für Physiologie, Pathophysiologie und experimentelle Endokrinologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien gehört. Das schwächt sie zwar, gibt dem Nachwuchs aber höhere Überlebenschancen. Demnach würden die Mäuseweibchen versuchen, ein "letzte Investition" in ihre Kinder zu machen, um ihr Erbe zu verbreiten, bevor es zu spät ist, wenn sie womöglich im Bauch eines Marders enden. (red, APA, 18.6.2019)