Offener Brief an den Europäischen Rat, die Europäische Kommission und die Europäische Volkspartei:

Sehr geehrter Präsident Tusk,
sehr geehrter Präsident Juncker,
sehr geehrter Fraktionschef Weber,

die ungarische Regierung hat das 1956-Institut abgeschafft, dessen Forscher schon zu Zeiten, als es noch vom Ein-Parteien-Staat verboten und bestraft wurde, mit wissenschaftlicher Präzision die Geschichte des Jahres 1956 aufgearbeitet haben. Durch ein neues Dekret Viktor Orbáns wurde das Institut in die Veritas-Forschungsinstitute und -Archive eingegliedert, die 2013 etabliert wurden und seither unter direkter Kontrolle der Regierung stehen.

Mit diesem Schritt fällt eine der letzten Bastionen, die noch mutig genug waren, sich der Geschichte zu stellen. Von nun an kann niemand mehr die historischen Narrative infrage stellen, die von der Regierung für ihre eigenen Zwecke benutzt werden. Diese Entscheidung passt zu dem gut dokumentierten Bemühen Viktor Orbáns, jede Institution mit unabhängigen Gedanken in den Sozialwissenschaften abzuschaffen oder unter die Kontrolle der Regierung zu bringen – angefangen von den Universitäten über den Hinauswurf der CEU bis zum Abschluss mit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.

Mit diesem Brief protestiere ich dagegen und fordere Sie auf, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, den nächsten Schritt in Richtung Diktatur in Ungarn zu vereiteln. (...)

Für eine Politik der andauernden Zugeständnisse gibt es ein historisches Beispiel: München, 1938. (...) Hitler war der Führer eines 60-Millionen-Landes mit der stärksten Wirtschaft Europas und einer stark aufrüstenden Armee. Viktor Orbán dagegen ist der Führer eines Zehn-Millionen-Landes mit einer schrumpfenden Bevölkerung, dessen Wirtschaft von EU-Subventionen und den Fabriken abhängt, die internationale Konzerne in Ungarn errichtet haben.

(...) Die Europäische Volkspartei, die stärkste Partei in Europa, darf nicht die 13 Stimmen der Fidesz in Brüssel als so wertvoll einschätzen, dass sie Feinde der Demokratie in ihrer eigenen Partei ignoriert. Viktor Orbán und seine verlogene und demagogische Partei, die Illusionen und alten Zeiten nachhängt, sollen zur extremen Rechte wechseln und sich Salvini, ihrem Freund, anschließen. Dort ist ihr Platz.

Budapest, 10. June 2019
Ferenc Koszeg (80),
ehemaliger Dissident und Palamentsabgeordneter,
Gündungsvorsitzender des Ungarischen Helsinki-Komitees

Offener Brief ungarischer Akademiker an den Fraktionsvorsitzenden der EVP Manfred Weber:

Sehr geehrter Herr Weber!

Dieser offene Brief ist ein Hilfeschrei. Wir, ungarische Wissenschafter, Forscher und Universitätsprofessoren wenden uns an Sie, weil wir Hilfe in einer sehr ernsten Angelegenheit brauchen: Die ungarische Regierung hat Gesetzesvorschläge eingebracht, durch die sich die ungarische Forschungslandschaft dramatisch verändern würde und durch die die Verfassung und die grundlegenden Menschenrechte mit Füßen getreten würden.

(...) Gemäß den Gesetzesvorschlägen würden alle Forschungszentren und Institute von der Akademie der Wissenschaften herausgelöst und einer neuen Entität unterstellt, die von einem Vorstand mit zur Hälfte von der Regierung beschickten Delegierten gesteuert würde. Darüber hinaus gibt es einen Plan, über diesem Vorstand ein weiteres Gremium zu installieren, dessen Mitglieder alle von der Regierung bestimmt würden. Alle diese Personen würden vom Ministerpräsidenten ernannt werden. (...)

Die Generalversammlung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften hat zweimal mit überwältigender Mehrheit gegen die Pläne der Regierung gestimmt. Die Forschungsgemeinschaft hat sich selbst in sogenannten Ungarische-Akademie-Staff-Foren organisiert. Es gab viele Demonstrationen, Manifeste und Proteste – vergebens. Wir haben nun keine Optionen mehr.

Ministerpräsident Orbán, der Vorsitzende der regierenden Fidesz-Partei, scheint mit seiner Partei in der EVP bleiben zu wollen. Er hat deswegen bereits Zugeständnisse gemacht, die ihm die EVP abverlangt hat, um demokratischen Erfordernissen Genüge zu tun. (...) Die geplante Gesetzgebung verstößt gegen das Recht auf akademische Freiheit und gegen das Recht auf Eigentum. Es ist eine schwerwiegende Attacke auf die demokratischen Prinzipien und die demokratische Ordnung. Wir fordern Sie auf, Druck auf Herrn Orbán zu machen, damit dieser die die Ungarische Akademie der Wissenschaften betreffenden Gesetze zurücknimmt.

Janos Kertesz, Professor für Physik,
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