Otello in Weiß: Aleksandrs Antonenko in der Titelpartie an der Staatsoper

Foto: Michael Poehn

Dirigent – Myung-whun Chun hat am Haus schon vier Verdi-Opern geleitet. Als Ersatz für den abrupt abhandengekommenen Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst musste der gebürtige Südkoreaner bei einer Rigoletto-Premiere im Dezember 2014 die Nerven bewahren: Simon Keenlyside versagte im zweiten Akt aufgrund einer Viruserkrankung die Stimme. Die Aufführung musste unterbrochen werden, konnte aber mit einem Ersatz (Paolo Rumetz) erfolgreich beendet werden. Mit Aleksandrs Antonenko (als Otello) läuft die Sache hoffentlich runder.

Frauenfigur – Der Frauenfigur im klassischen Spannungsdreieck der Oper bleibt wieder einmal nur die Opferrolle. Desdemona wird zerrieben zwischen dem kalten Kalkül Jagos und dem heißblütigen Furor Otellos, da helfen alle Unterordnung und auch die Anrufung Mariens nichts. Die "Unglückliche" (so die Bedeutung des griechischen Namens) wird von ihrem Gatten mit einem Kissen erstickt – diese Art, zu Tode zu kommen, wurde von Jago ersonnen. Wie alles Böse in dieser Oper.

Genesis – Die Entstehung der Oper hat sich über sieben Jahre hingezogen, das "Schokoladenprojekt" kannte auch bittere Zeiten. Giuseppe Verdi war eine Legende in Pension, als er die Oper komponierte, bei der (triumphalen) Uraufführung am 5. Februar 1887 an der Mailänder Scala war der Komponist 73 Jahre alt. Mit Otello sollte es dann auch Schluss sein mit Mord, Totschlag und Tragik in seinem Schaffen: Sechs Jahre später folgte der Falstaff, dieses von der Komödiensonne beschienene Eiland, das dem mit Theaterblut getränkten Kontinent seines Opernschaffens im Respektabstand nachgelagert ist.

Jago – Der kühl kalkulierende Böse schlechthin, Promotor allen Unheils. Der Fähnrich und langjährige Kampfgefährte Otellos ist verletzt, weil ihn dieser bei der Beförderung zum Hauptmann übergangen und Cassio vorgezogen hat. Für Jago seien Menschen nur "analysierbare Puppen", schrieb Ingeborg Bachmann, "er macht sie leiden und schreien und töten". Seine Intelligenz und Gründlichkeit seien über die Maßen schrecklich. "Jago ist erhaben in seiner Furchtbarkeit, er versucht die andren zutod." Die Oper müsste eigentlich "Jago" heißen, resümiert die Schriftstellerin. Das fanden Verdi und Librettist Arrigo Boito anfangs auch.

Musik – Die Musik ist natürlich ein Wahnsinn. Die Eröffnungsszene etwa, wenn Otellos Schiff mit einem Sturm kämpft: Donnerschläge und Dissonanzen, Kanonenschüsse und grelle Glissandi, ein 256 Takte langer Orgelcluster ... Da steigt der Puls nicht nur bei den Mitwirkenden. Die aufbrausende, gewalttätige Wut Otellos macht nicht weniger fürchten. Um die Düsternis des tiefen Blechs zu verstärken, hat Verdi eigens eine Bassposaune bauen lassen. Aber es gelingt dem Meister auch, den blitzhellen Funkenflug eines Feuers hörbar zu machen.

Otello – Der ehemalige afrikanische Sklave hat sich dank seiner Kampfkraft zum Flottengeneral und Befehlshaber der von Venedig besetzten Insel Zypern hinaufgearbeitet. Eigentlich ein Guter, werden dem Endvierziger seine Leichtgläubigkeit und sein aufbrausendes Naturell zum Verhängnis. "Was uns an Othello erschüttert, ist nicht seine Eifersucht als solche, sondern sein Irrtum", stellte Max Frisch fest. Dass die Figur von William Shakespeare zum Farbigen gemacht wurde, könnte ebenfalls auf einem Irrtum beruhen: Ende des 15. Jahrhunderts war ein gewisser Cristofero Moro venezianischer Gouverneur auf Zypern. Die zweite Bedeutung des italienischen Wortes "moro" ist Maulbeerbaum.

Regie – Adrian Noble inszeniert das Werk, es ist dies nach Händels Alcina (2010) und Humperdincks Hänsel und Gretel (2015) die dritte Regiearbeit des Briten an der Staatsoper. Der ehemalige Leiter der Royal Shakespeare Company verlegt die Handlung vom späten 15. ins 19. Jahrhundert. Um die Spannungen zwischen dem venezianischen Türkenbezwinger Otello und der Bevölkerung deutlicher herauszuarbeiten, wird der Chor der Zyprioten muslimisiert. Nobles Neuinterpretation ersetzt die Otello-Inszenierung von Christine Mielitz aus dem Jahr 2006.

Sänger – Aleksandrs Antonenko gibt den Otello. Der Lette ist ein Routinier in der Gestaltung dieser stimmlich enorm strapaziösen Tenorpartie, er hat den Heißsporn schon an der Met, an der Pariser Bastille-Oper und auch an der Wiener Staatsoper gesungen. Auch Olga Bezsmertna hat die Desdemona schon im Haus am Ring gegeben, die gebürtige Ukrainerin ist hier seit 2012 (und noch bis 2020) Ensemblemitglied. Sein Debüt an der Wiener Staatsoper feiert Vladislav Sulimsky (als Jago). Hierzulande war der Weißrusse schon bei den Salzburger Festspielen (als Tomski in Pique Dame) und im Theater an der Wien zu erleben.

Taschentuch – Das vermeintliche Indiz für die Untreue Desdemonas. Jago macht Otello glauben, seine Gattin habe dessen Geschenk Cassio verehrt. In Wahrheit hat der Intrigant das "fazzoletto" seiner Frau Emilia gewaltsam entwendet. Das Textil ist von hochwertiger Machart: "Weißer, leichter als eine Schneeflocke, als eine Wolke, gewebt aus den Lüften des Himmels". Zudem hat laut Otello eine Zauberin darin den magischen Faden eines Talismans eingewebt. (Stefan Ender, 20.6.2019)