Das seit 1957 verliehene Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst ist einer der hohen staatlichen Orden – und die höchste Auszeichnung für Wissenschafter.

Foto: Nationalmuseum Prag, gemeinfrei

Der Arzt Heinrich Gross, der im NS-Regime an der Ermordung behinderter Kinder beteiligt gewesen war, musste 2003 das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse zurückgeben, das er 28 Jahre zuvor erhalten hatte.

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Kein Staat in Europa dürfte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ähnliche viele Orden verliehen haben wie die Republik Österreich. Genaue Zahlen gibt es nicht, doch ist davon auszugehen, dass seit 1945 bis heute mehr als 100.000 dieser Ehrenzeichen vergeben wurden. Macht pro Jahr im Schnitt rund 1.500 Ehrungen – oder gut vier Orden pro Tag.

Dass man diese Zahlen einigermaßen gut schätzen kann, ist indirekt Heinz-Christian Strache zu verdanken: Der Ex-FPÖ-Obmann hätte laut Ministerratsbeschluss Anfang 2012 das Große Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich erhalten sollen. Doch der damalige Bundespräsident Heinz Fischer verweigerte die notwendige Unterschrift. Also brachte die FPÖ eine parlamentarische Anfrage ein und verlangte Auskunft über die Ordensvergabepraxis.

Eine lange, zu kurze Liste

Zur Beantwortung dieser Anfrage wurde unter anderem ein Dokument erstellt, das auf 2035 Seiten knapp 65.000 staatliche Ordensverleihungen bis 2012 auflistet. Doch selbst diese lange Liste, die auch im Netz abrufbar ist, geriet wegen eines EDV-Fehlers viel zu kurz: Da für die Jahre bis 1995 die Nachnamen der Geehrten von I bis Y praktisch vollständig fehlen, kommt man auf die oben angeführten Zahlen.

Kleine Fußnote am Rande: Unter den mehr als 100.000 Verleihungen findet sich mittlerweile auch das Große Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich für Heinz-Christian Strache. Da Fischers Nachfolger Alexander Van der Bellen nämlich die nötige Unterschrift fünf Jahre später schließlich doch leistete, wurde Strache der relativ hohe Orden am 12. Juli 2017 ausgefolgt. Gut eine Woche danach begab sich der solcherart Geehrte nach Ibiza.

Die einzige Ordens-Aberkennung

Doch nicht von Politikern und ihren Orden soll hier die Rede sein, sondern von den staatlichen Ehrungen für Wissenschafter – und solchen Auszeichnungen, die aus heutiger Sicht problematisch erscheinen. Tatsächlich kam es bei den staatlichen Ehrungen für Wissenschafter auch zur ersten und bis heute einzigen Aberkennung einer bereits verliehenen Auszeichnung: Der Arzt Heinrich Gross, der im NS-Regime an der Ermordung behinderter Kinder beteiligt gewesen war, musste 2003 das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse zurückgeben, das er 28 Jahre zuvor erhalten hatte, wofür sogar das einschlägige Gesetz aus dem Jahr 1955 abgeändert wurde.

Dieses Gesetz sieht insgesamt drei Auszeichnungen für verdiente Personen aus dem Wissenschafts- und Kulturbereich vor: das "normale" Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, das Ehrenkreuz I. Klasse, das Gross verliehen worden war, sowie das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst für "besonders hochstehende schöpferische Leistungen". Diese höchste der drei Auszeichnungen ist auf maximal je 18 lebende Künstler und Wissenschafter aus Österreich beschränkt, die zwei Kurien bilden und selbst die neuen Ehrenzeichenträger vorschlagen sowie die je 18 ausländischen damit Auszuzeichnenden.

Nicht nur Leistung, die zählt

Obwohl beim Ehrenzeichen de jure nur die wissenschaftliche Leistung das ausschlaggebende Kriterium sein sollte, spielten insbesondere bei den ersten der bis heute rund 200 damit Geehrten offensichtlich auch noch andere Faktoren eine Rolle: Viele der Ehrenzeichenträger der 1950er- und 1960er-Jahre waren Schlüsselrepräsentanten der damaligen rechtskonservativen Hegemonie im akademischen Milieu, und nicht wenige dieser Personen hatten eine nationalsozialistische Geschichte. Insofern spiegelt sich in diesen "auserwählten" Wissenschaftern sehr viel mehr politischer Zeitgeist, als man auf den ersten Blick annehmen würde.

Erster vom damaligen Unterrichtsminister Heinrich Drimmel (ÖVP) nominierter Ehrenzeichenträger war 1957 Richard Meister, amtierender Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Exrektor der Uni Wien und Lehrer Drimmels. Der Pädagoge und Altphilologe hatte seine Professur in Wien 1923 ohne Habilitation erhalten, war in der Zwischenkriegszeit Mitglied der antisemitischen Professorenclique Bärenhöhle gewesen und hatte die NS-Zeit dank zahlreicher Mitgliedschaften in nationalsozialistischen Verbänden und Organisationen unbehelligt überstanden. Er war auch im Sinne des Nationalsozialismus aktiv geworden.

Nobelpreisträger und viele Ex-Nazis

Da Meister der NSDAP aber nicht beigetreten war, konnte er trotz seiner antisemitischen Machenschaften nach 1945 zur Schlüsselfigur des heimischen Wissenschaftsbetriebs avancieren und seine alten Netzwerke wiederbeleben. Als erster Vorsitzender der Kurie für Wissenschaft und Präsident der Akademie der Wissenschaften, die bis heute ein besonderes Naheverhältnis zur Kurie hat, spielte er bei der Auswahl der weiteren Ehrenzeichenträger eine entscheidende Rolle.

Unter diesen befanden sich einerseits wissenschaftlich unbestrittene Größen wie Physiknobelpreisträger Erwin Schrödinger. Bei anderen geehrten Gelehrten schien es aber auch darum zu gehen, ehemalige Nationalsozialisten wieder "salonfähig" zu machen und sie – mittels der höchsten staatlichen Wissenschaftsauszeichnung – vollends zu rehabilitieren.

Ein Paradebeispiel dafür ist der Chirurg Leopold Schönbauer, der von 1938 bis 1945 die I. Chirurgische Universitätsklinik geleitet hatte. Laut kürzlich wiederaufgetauchtem Gau-Akt war Schönbauer nicht nur seit 1. Juli 1938 NSDAP-Mitglied (Nr. 8.121.441), sondern seit 2. Juni 1938 auch förderndes Mitglied der SS gewesen, was Schönbauer nach 1945 verschwieg, da das seine Pardonierung maßgeblich erschwert hätte. So aber konnte der Promi-Arzt 1947 den Präzedenzfall dafür abgeben, dass bestimmte "Ehemalige" als unabkömmlich galten und trotz NS-Vergangenheit weiterhin Karriere machen konnten. 1958 erhielt Schönbauer das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, 1959 wurde er ÖVP-Nationalratsabgeordneter.

Chirurgen mit politischen Ambitionen

Im Jahr 1959 war dann die Kurie Wissenschaft mit 18 Mitgliedern vollständig besetzt. Neben Schönbauer waren weitere mehr oder weniger schwer belastete Ex-Nazis in den elitären Zirkel aufgenommen worden, so etwa im Jahr 1959 Schönbauers engerer Kollege Lorenz Böhler. Der Unfallchirurg war ehemaliges NSDAP-Mitglied gewesen und hatte sich in vielfacher Weise pronazistisch geäußert. Böhler sollte 1957 als Bundespräsidentschaftskandidat der FPÖ aufgestellt werden, ehe sich ÖVP und FPÖ auf den Chirurgen Wolfgang Denk einigten.

Denk wiederum verlor zwar 1957 die Wahl gegen Adolf Schärf (SPÖ), quasi als Trost erhielt er wenige Monate später aus dessen Händen – voilà – das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst. Zwei andere damit Geehrte waren der Techniker Karl Federhofer und der Veterinärmediziner David Wirth. Der eine gehörte nach dem "Anschluss" der Ortsführung des Nationalsozialistischen Dozentenbunds der TH bzw. TU Graz an, der andere war NSDAP-Mitglied und ab 1944 Dozentenbundführer an der Tierärztlichen Hochschule, der heutigen Vetmed-Uni.

"Schnüffelei nach Vorvergangenheit"

Bezeichnend ist, dass gleich zwei österreichische Ehrenzeichenträger Anfang der 60er-Jahre den deutschen Anthropologen und Arzt Eugen Fischer zur Auszeichnung vorschlugen, einen der Vordenker der NS-Rassenhygiene. Ein anderer NS-belasteter Ehrenzeichenträger hatte in dieser Causa dann aber doch Bedenken: Der Altphilologe Albin Lesky fürchtete, dass man "irgendeine Äußerung von Fischer ausgräbt, sie womöglich aus dem Zusammenhange reißt und zur Herabsetzung der Kurie und des Ministers missbraucht". Also wurde der Antrag fallengelassen.

Zugleich stellte das Ex-NSDAP-Mitglied Lesky gegenüber seinen Kurienkollegen aber auch klar, dass er die "in ein neues Stadium getretene Schnüffelei nach der Vorvergangenheit Gelehrter auf das äußerste perhorresziere". Dieser Haltung ist es auch zu verdanken, dass noch Anfang der 1970er-Jahre mit dem Musikwissenschafter Erich Schenk und dem Althistoriker Fritz Schachermeyr zwei nationalsozialistisch und antisemitisch besonders stark belastete Geisteswissenschafter das Ehrenzeichen erhielten.

Das lange Warten der Lise Meitner

Mit einem anderen Antrag hingegen tat sich diese elitäre Männerrunde hingegen besonders schwer: Bereits im September 1958 machte das Bundeskanzleramt den Vorschlag, die emigrierte Kernphysikerin Lise Meitner mit dem Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst zu würdigen. Der Antrag wurde von Erwin Schrödinger sowohl 1959 als auch 1960 wiederholt, fand aber unter seinen Kurienkollegen keine Zustimmung. Es sollte insgesamt neun Jahre dauern, ehe die weltberühmte Physikerin nach peinlichen bürokratischen Verwirrungen das Ehrenzeichen 1967 dann doch noch erhielt – knapp ein Jahr vor ihrem Tod.

Bis zum Jahr 1999 sollte Lise Meitner die einzige Frau aus Österreich bleiben, die mit der höchsten staatlichen Auszeichnung für Wissenschafter geehrt wurde. (Klaus Taschwer, 21.6.2019)