In einem Terrarium treiben unter Kunstlicht kleine Pflanzen aus. Aber der erste Blick auf Diana Leloneks Serie Center for Living Things trügt. Gräser und Moos wurzeln nicht in Erde oder einem nahrhaften Granulat, sondern in Textilien und alten Schuhen. Deutlich erkennt man auf den zweiten Blick die Gummisohle. Die zunehmend zerstörte Natur erobert sich also Raum zurück.

"Das Thema Natur war in der Kunst immer schon präsent", sagt Kuratorin Mirela Baciak. "Aber es hat sich wegen der ökologischen Herausforderung jetzt multipliziert. Wenn wir über Natur nachdenken, geht es auch um uns selbst. Wie über Natur lange gesprochen wurde und wie sie in Gegensatz zur Kultur gestellt wurde, entsprach ja nie so wirklich der Realität." Für den Kunstraum Niederösterreich in Wien hat Baciak die Ausstellung Nature\nature zusammengestellt und zeigt dort aktuell etwa Leloneks Terrarium.

Die Natur erobert sich bei Diana Lelonek ihren Raum von den Menschen zurück. Pflänzchen und Moose wachsen in ihren Bildern und Terrarien aus Plastikflaschen und Schuhsohlen.
Foto: Diana Lelonek

Der Wald erlebt im gesellschaftlichen Bewusstsein derzeit einen Höhenflug. Allerorten wird er als Sehnsuchtsort und Therapie beschworen. Zwei Stunden im Wald wöchentlich verringern laut neuester Untersuchung der Universität Exeter das Stresshormon Cortisol. Auch in der Kunst sind der Wald und die Natur als Themen gerade ungemein populär.

Schreckensvision vor Skyline

Nature\nature beschäftigt sich keineswegs allein mit dem Fragen zur Umwelt. Der Schweizer Künstler Klaus Littmann wird ab September unter dem Titel For Forest für zwei Monate einen 200 Bäume zählenden künstlichen Wald im Wörthersee Stadion in Klagenfurt wachsen lassen.

Seit 30 Jahren ist Littmann von der Idee gebannt. Damals sah er erstmals die Zeichnung Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur des heimischen Künstlers Max Peintner. Auf Papier pflanzte jener hunderte von Bäumen in ein Fußballstadion und artikulierte so Anfang der 1970er seine Schreckensvision einer allmählich zerstörten Natur. Um Ökologie machten sich damals tatsächlich erst wenige Gedanken, bei Peintner allerdings werden die exquisiten grünen Gaben von den vollen Stadionrängen aus bestaunt. Dahinter reckt sich eine in Beton und Glas gegossene Stadt gen Himmel.

Welche Wirkung Littmann sich von dem Riesenprojekt erwartet? Er ist überzeugt, dass das surreale Event um die Welt gehen wird. Artikel dazu erschienen jüngst auch in Taiwan. Hierzulande hat die Kronen Zeitung eine regelmäßige Rubrik eingerichtet, um Fragen rund um das Kunstwerk zu klären.

Inspiration für "For Forest" im Klagenfurter Stadion ist eine um die Zukunft besorgte Zeichnung Max Peintners von 1970. Dessen frühe Einsicht faszinierte Littmann Ende der 1980er so sehr, dass er das Werk erwerben wollte. Es war aber schon verkauft. Als er dem Künstler daraufhin sagte, eigentlich müsste man es realisieren, klopfte er Littmann nur ungläubig auf die Schulter. Machen Sie mal. Es brauchte dafür erst ein unzureichend ausgelastetes Stadion wie jenes in Klagenfurt.
Foto: APA/Max Peintner

Ohne den Wald als Motiv wäre die Kunstgeschichte quer durch die Epochen um einiges ärmer. Früher einmal konnte man mit Gemälden etwa "der deutschen Eiche" nationale Identität stiften. Doch als Ort für große Mythen und bloße Schönheit hat Natur in der Kunst unserer Tage ausgedient.

"Ästhetisieren wäre Lüge"

Baciak hat bei der Recherche für Nature zwar immer noch viele Arbeiten gefunden, die Natur formal bearbeiten. Sie interessieren aber nur mehr solche Positionen, die das politische Potential der Natur zeigen oder wie Natur und Technik neu gedacht zusammenfinden. "Ich glaube aber, die Natur zu ästhetisieren wäre auch eine Lüge, wenn wir uns umschauen, was mit ihr geschieht."

Pollution Pods von Michael Pinsky stellt aktuell etwa verschmutzte Atemluft von fünf Orten aus der ganzen Welt in Manchester aus. Auf der Art Basel waren heuer Olivenbäume zu bestaunen, die mit fest verknüpften Wurzelballen auf die Verdichtung der Böden aufmerksam machten.

Für ökologische Themen in der Kunst gibt es in Österreich Vorreiter. Lois Weinberger prägt mit seinen stählernen Einfriedungen für Pflanzen seit den 90ern die Debatte mit, er thematisiert mit seinen botanischen Arbeiten soziale Fragen wie Migration. Mit Friedensreich Hundertwasser gibt es noch einen Vorreiter. Er machte sich schon in den 1970ern Gedanken zu Recycling und Ernährung. Das Kunst Haus Wien stellt daher seit fünf Jahren vermehrt Kunst im Themenfeld Biodiversität und Klimawandel aus. Claudia Märzendorfer zeigt dort neuerdings Gipsabgüsse von Müllsäcken als Anspielung auf die Verschmutzung der Ozeane. Müll sammelt sich auch im Magen der Meerestiere.

Claudia Märzendorfer beschäftigt die Umweltverschmutzung mit Plastikmüll. Im Meer bedeckt er heute, wie Forscher errechnet haben, eine Fläche dreimal so groß wie Frankreich. Das irritiert Märzendorfer, denn "Frankreich steht bei uns als Bild eigentlich für das gute Leben".
Foto: Claudia Märzendorfer, Bildrecht Wien 2019

Bei der Recherche zu A Blazing World kamen der Künstlerin Holzstiche aus dem 16. Jahrhundert mit gestrandeten Walen unter. Menschen kraxeln winzig auf den Riesen umher. "Es gab damals wie heute eine Faszination für diese Tiere. Aber heute sieht man in Medienberichten zu solchen Ereignissen stets auch Aktivisten von Greenpeace. Unser Verhältnis zur Natur hat sich verändert. Denn was heute in einem gestrandeten Wal ist oder warum er strandet, hat andere Gründe als dazumal." In Märzendorfers künstlerischen Umfeld "ist klar, man ist informiert und hat informiert zu sein".

Wissenschaft als Braut der Kunst

Der Kunst ist der einst unschuldige Blick auf die Natur also nur mehr eingeschränkt möglich. Stattdessen wälzen Künstler wissenschaftliche Studien, sprechen mit Forschern oder schließen sich gleich mit solchen zusammen.

Im Wiener Museumsquartier steht neuerdings eine Installation zwischen Kunst und Naturwissenschaft. Airship.01 heißt die "Waldwunderkammer" des Grazer Breathe Earth Collective. 2015 hat die Gruppe aus Architekten, Landschaftsplanern und einem Künstler diese in größerem Maßstab schon auf der Expo in Mailand gezeigt. Das Zelt soll bei Hitze mit Bewuchs aus Föhren und Birken Erfrischung von bis zu sechs Grad bringen.

Ist das noch Kunst? "Wir sehen es als extrem sinnliche immersive Installation", sagt Lisa Enzenhofer vom Breathe Earth Collective. Wissenschaftliche Daten stehen bewusst nicht im Vordergrund des Erlebnisraumes. "Aufgrund der unmittelbaren Erfahrung beginnen viele Menschen erst, sich dafür zu interessieren, wie wichtig solche Räume für die Stadt, Wohlbefinden und Gesundheit sind."

Wird im Klagenfurter Stadionwald ein Reh springen? Nach der Aktion werden die Bäume in der Nähe verpflanzt. Erst dann wird er tatsächlich Natur werden. (Michael Wurmitzer, 21.6.2019)