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In China gibt es ein deutliches Überangebot an Autos.

Foto: Reuters/Kim Kyung Hoon

Chinas Verkäufer nutzen den 18. Juni, den einstigen Werbetag eines Online-Großanbieters, als neuen Anlass für Shopping-Festivals aller Art in Städten des Landes. In diesem Jahr mischen sich besonders viele Pkw-Händler mit Big-Sales-Promotions darunter. Ein Pekinger Autohaus offeriert 1.500 Neuwagen, darunter Audi A3, zum zinslosen Ratenkauf, ohne jede Anzahlung. Andere erlassen Kunden die staatliche Kaufsteuer oder bieten satte Rabatte an.

Sie müssen alles versuchen, denn dem größten Automarkt der Welt geht die Luft aus. Zum ersten Mal seit 28 Jahren fallen Produktion, Absatz und Gewinne, türmen sich Lagerbestände auf, warten verunsicherte Käufer ab. Im Juni jährt sich eine bedrohliche Entwicklung, bei der vor jedem Monat hintereinander ein dickes Minus stand.

Lohnsenkung

Die Wirtschaftszeitung "21st Century Jingjibaodao" warnt vor "ungewöhnlichen Zeiten" für Industrie und Handel rund um das Automobil mit Folgen für die Beschäftigung: In manchen Unternehmen würden "seit drei, vier Monaten Mitarbeitern nur noch monatlich 3.000 Yuan (385 Euro) gezahlt".

Kürzlich meldete das Statistikamt als Hiobszahl für die Industrieproduktion nur noch fünf Prozent Wachstum im Monat Mai. Es war der schwächste Zuwachs seit 2002. Schuld daran war die um 21,5 Prozent eingebrochene Automobilherstellung. Sie war jahrelang Motor der Konjunktur und steuerte bis zu zehn Prozent des Nationalprodukts bei.

Beschleunigung nach unten

Die Talfahrt beschleunigt sich Monat um Monat. Nach wie vor bleibt China der größte Autoproduzent der Welt. In den ersten fünf Monaten 2019 wurden mehr als zehn Millionen Fahrzeuge an die Händler ausgeliefert. Gegenüber dem Vorjahr waren das aber 13 Prozent weniger. 2018 wurden insgesamt 28,1 Millionen Fahrzeuge abgesetzt, darunter 22,7 Millionen Pkws.

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Die Halden an Autos werden immer größer.
Foto: Reuters

Li San, Vizepräsident des Autoconsulters Internet Infoagency, sieht den in der Vergangenheit zu schnell gewachsenen Markt noch nicht in einer strukturellen Krise, aber in einer schwierigen Konsolidierungsphase. Auch ausländische Marken, vor die französischen Produzenten, sind betroffen. Deutsche Hersteller und Marktführer wie VW, Mercedes oder BMW spürten zwar den Gegenwind, behaupteten sich aber, vor allem mit ihren Premiumfahrzeugen. Die vor einigen Jahren noch abgeschlagenen Japaner hätten zugelegt. Als Opfer des Handelskriegs verlieren US-Unternehmen wie GM am stärksten.

Neue Abgasnorm verschäft Lage

Das werde sich auch im zweiten Halbjahr nicht ändern, sagt Li dem STANDARD. "Die Lage ist ernst." Peking hat sich mit der ehrgeizigen, um ein Jahr vorgezogenen Einführung der neuen Abgasnorm "China VI" einen Bärendienst erwiesen. Ab 1. Juli werden 18 der 32 Provinzen und Stadtstaaten nur noch Neuwagen zulassen, die den neuen Standard erfüllen. Geplant war dafür eigentlich der 1. Juli 2020.

Das hat nun unerwartete Folgen. Chinas Händler liefern sich Rabattschlachten, um ihre bis Ende Mai aufgetürmten Halden von drei Millionen Pkws abzubauen, die die neue Norm nicht einhalten können, meldete die finanzpolitische Zeitschrift "Caixin". Käufer warteten ab, weil ihnen das Angebot an Modellen, die der China-VI-Norm entsprechen, zu wenig attraktiv sei, kritisiert "China Daily".

E-Auto-Boom vorbei

Auch der vielgepriesene Zukunftsmarkt der Elektrofahrzeuge steht unter Druck, seit Peking Subventionen streicht. Nur rund 440.000 New Energy Vehicles (NEV) wurden von Jänner bis Mai abgesetzt. Die Zuwachsraten liegen nur noch im niedrigen einstelligen Bereich, sagt Li San. Unklar sei, wie Peking so sein Etappenziel von zwei Millionen verkauften NEVs im Jahr 2020 erreichen will. 2018 wuchs das Marktsegment noch um fast 62 Prozent auf 1,25 Millionen E-Wagen.

Jahrelang hatte Peking seinen Sprung in die Elektromobilität mit großzügigen Zuschüssen für die Käufer und zweistelligen Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur gefördert und dem E-Auto Vorteile gegenüber Benzinern verschafft, von einer erleichterten Zulassung bis zur Befreiung von diversen Fahrverboten.

E-Auto-Boom vorüber

Die Rechnung ging anfangs auf, China wurde zum größten E-Auto-Markt der Welt. Seit 2017 fährt der Staat seine Unterstützung stufenweise zurück. Ab 26. Juni wird es für E-Autos mit mindestens 250 Kilometern Reichweite pro Ladung nur noch 18.000 bis zu 25.000 Yuan (3.200 Euro) an Zuschüssen geben, nahezu eine Halbierung der früheren Subventionen. 2020 sollen sie völlig auslaufen.

Chinesische Experten spekulierten angesichts dessen, dass Peking mit neuen Anreizen eingreifen und teilweise die Einschränkungen für die Anzahl der Pkw-Neuzulassungen aufheben könnte, die in zehn Metropolen gelten. Aktuell gebe es keine Anzeichen dafür, dass der Staat interveniert, "um den Markt zu retten", schreibt "Caixin". (Johnny Erling aus Peking, 21.6.2019)