Bis zu 60-mal täglich müssen Betroffene die Toilette aufsuchen.

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Wer an Interstitieller Cystitis (IC) erkrankt ist, kann kein normales Leben führen. Dafür sorgen allein schon die vielen Toilettengänge – bis zu 60-mal täglich rund um die Uhr. Der Harndrang ist so zwingend, dass man meinen könnte, die Blase sei randvoll gefüllt.

Aber weit gefehlt. Bei den zumeist weiblichen Betroffenen kommt der Urin oft nur tröpfchenweise. IC kostet wegen der vielen Toilettengänge Schlaf. Nachdem sich das Leben mehr oder weniger um die Toilette herum abspielt, haben Menschen mit IC so gut wie kein Sozialleben. Sie vereinsamen, was wiederum ein erhöhtes Risiko für andere Erkrankungen bedeutet. Zugleich haben sie große Schuldgefühle gegenüber der Familie. Häufig tritt die IC gemeinsam mit Weichteil-Rheuma, im medizinischen Fachjargon als Fibromyalgie bezeichnet, oder einem Reizdarmsyndrom auf.

Häufige Fehldiagnosen

Wegen des zwingenden Harndrangs wird die Interstitielle Cystitis anfangs manchmal mit der überaktiven Blase (Overactive Bladder OAB) verwechselt, umgangssprachlich auch Reizblase genannt. Oder die IC wird als chronische bakterielle Blasenentzündung fehldiagnostiziert, obwohl die für eine Blasenentzündung typischen Bakterien gar nicht nachweisbar sind. Wer an IC leidet, hat mitunter starke Schmerzen in der Blasen- und unteren Beckenregion. Deshalb gibt es für die Interstitielle Cystitis auch die Bezeichnung chronisches Blasenschmerzsyndrom (Bladder Pain Syndrome – BPS).

Die Bezeichnung BPS schränkt das Krankheitsbild aber zu sehr ein. "IC ist eine chronisch entzündliche Erkrankung der Harnblase, bei der neben dem Symptomenkomplex des BPS auch krankheitstypische zystoskopische und/oder histologisch nachweisbare Veränderungen der Harnblase vorliegen können", sagt der Urologe Björn Kaftan, Leitender Oberarzt am Klinikum Lüneburg und Mitglied des Medizinischen Beirats des Fördervereins für Interstitielle Cystitis.

Diagnose der IC

Wie viele Menschen in Österreich an einer IC leiden, ist wegen der vielen Fehldiagnosen schwer zu sagen. Vermutlich treffen die Zahlen aus anderen europäischen Ländern – zumindest ein bis zwei Prozent der Bevölkerung – auch auf Österreich zu. IC kann in jedem Alter auftreten, auch schon bei jungen Mädchen. "Bis die richtige Diagnose steht, vergehen nach den Erhebungen der Versorgungsstudie zur IC durchschnittlich neun Jahre, in denen rund 22 Ärzte konsultiert werden", erzählt Kaftan. Wie wird IC diagnostiziert? Dafür wird die Harnblase unter Narkose gedehnt. Dabei sind normalerweise stecknadelkopfgroße Schleimhautblutungen zu sehen.

"Typisch für die IC sind auch gutartige Geschwüre auf der Blasenwand, die Hunnerschen Läsionen. Aber sie sind nicht immer vorhanden", erzählt die Urologin Daniela Schultz-Lampel, die das Kontinenzzentrum Südwest des Schwarzwald-Baar-Klinikums in Villingen-Schwenningen, Deutschland, leitet und ebenfalls im Medizinischen Beirat der ICA und der Leitlinienkommission sitzt. Es gibt laut Kaftan noch eine zweite, seltenere IC-Variante: den Nicht-Hunner-Typ, bei dem während oder nach einer Blasendehnung keine Hunner-Läsionen zu finden sind.

Zusammenspiel vieler Faktoren

Welche Ursachen eine Interstitielle Cystitis hat, ist noch nicht genau geklärt. Sicher ist jedenfalls, dass die normalerweise undurchlässige oberste Blasenschleimhautschicht aus Glykosaminoglykanen (GAG-Schicht) beschädigt ist. "Deshalb können Säuren im Urin und beispielsweise Kalium aus dem Urin in tiefere Gewebsschichten der Blasenwand dorthin vordringen, wo Sensoren für Drang und Schmerz sitzen", erklärt Schmidt-Lampel. Die Folge sind Harndrang, Blasenschmerz und eine zunehmende chronische Entzündungsreaktionen in allen Schichten der Harnblasenwand.

Die Schleimhautschädigung kann die Folge verschiedener Faktoren wie wiederkehrender Blasenentzündungen, einer insgesamt erhöhten Entzündungsaktivität, einer Histamin-Intoleranz, Schwermetallen und etwa des Medikamentes Tamoxifen sein. Tamoxifen wird bei jüngeren Brustkrebs-Patientinnen zur antihormonellen Therapie eingesetzt. Eine aktuell in "Neurology & Urodynamics" veröffentlichte Studie bestätigt zudem, dass eine Endometriose das Risiko für eine Interstitielle Cystitis erhöht. So liegt bei drei bis fünf von zehn Betroffenen außer IC auch eine Endometriose vor.

Die verminderte Durchblutung und eine veränderte neuronale Versorgung der Blase sind ebenfalls mögliche Ursachen. "Es kommt zu einer neuronalen Hochregulierung, die Schmerzleitung verändert sich", berichtet Kaftan. Es treten Blasenschmerzen auf, "die Beckenbodenmuskulatur verspannt sich". Deshalb treten behandlungsbedürftige Schmerzen auch im Beckenraum auf. Frühere Operationen wie eine Gebärmutterentfernung können die Beschwerden noch verschlimmern.

Viele Therapien

"Es gibt glücklicherweise einen ganzen Blumenstrauß, den man ausprobieren kann", erzählt Kaftan: "Normalerweise wird mit sogenannten Blaseninstallationen versucht, die GAG-Schicht wieder aufzubauen und die Durchblutung zu verbessern." Spülsubstanzen (Glykosaminoglykane) werden für etwa 30 Minuten in die Blase eingefüllt. Bei einer Sonderform dieses Spülvorganges, der E.M.D.A.-Therapie (Electromotive Drug Administration), dringen die Wirkstoffe dank eines schwachen Stroms in tiefere Schichten der Blasenwand ein und können so nachhaltig wirken. "Damit verringern sich Harndrang und Schmerzen bereits nach der ersten Behandlung um etwa 70 bis 80 Prozent", berichtet Schultz-Lampel.

Seit etwa einem Jahr ist das für die Reparatur der GAG-Schicht geeignete Medikament Elmiron (Pentosan-Polysulfat) als Tablette zugelassen. Gutartige Geschwüre in der Blase können mit Laser oder Strom entfernt werden, und gegen eine schmerzhaft verkrampfte und überaktive Beckenbodenmuskulatur hilft eine spezielle Physiotherapie sehr gut. Auch Wärmeanwendungen können sinnvoll sein. Die Behandlung sollte früh erfolgen, um die Bildung eines Schmerzgedächtnisses und somit chronische Schmerzen zu verhindern. Möglich ist es auch, Schmerzmittel und sogenannte muskelentspannende Anticholinergika gegen den Harndrang einzunehmen.

Suche nach Linderung

Auch eine Lebensstiländerung gehört zur Therapie: Stressfaktoren ausschalten und möglichst alles vermeiden, was die Schleimhaut reizt. Neben Kaffee, Cola und stark kohlensäurehaltigem Sprudel gehören auch künstliche Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe, Zitrusfrüchte, Tomaten und scharfes Essen dazu. Am besten wird dies zuerst testweise für vier bis sechs Wochen versucht.

"Die Beschwerden sind mitunter auch von der Ernährung abhängig. Deshalb ist nicht ganz auszuschließen, dass die Gemeinschaft der Darmbakterien, die sogenannte Darmmikrobiota, eine Rolle im Zusammenhang mit der IC spielt", berichtet Kaftan. Dafür spricht auch, dass eine IC mitunter mit einem Reizdarm zusammenhängt, bei dem nach derzeitigem Forschungsstand die Darmbakterien-Gemeinschaft ebenfalls eine wichtige Rolle spielt.

Die Blasenkapazität nimmt mit fortschreitender Erkrankung ab. In späteren Stadien der IC ist sie stark verringert. Wenn nichts anderes mehr hilft, wird in seltenen Fällen die kranke Blase entfernt und ein Blasenersatz eingesetzt. Doch auch das andere Extrem ist möglich: Es kommt auch vor, dass die IC von allein ausheilt. (Gerlinde Felix, 22.6.2019)