Er verwandelte die wichtigsten Bücher und Stoffe der Weltliteratur in Glanzstücke der Vortragskunst: Peter Matić, ein Meister der kontrollierten Regungen.

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Seine weiche, gaumige Stimme sorgte für eine verlässliche Verbindung mit der Instanz des Weltgeists. In ihrem sonoren, zugleich unendlich schmiegsamen Ton wohnten gleichberechtigt Vernunft und Noblesse nebeneinander. Um ihretwillen hätte man dem Schauspieler Peter Matić auch dann noch bereitwillig Gehör geschenkt, wenn er bloß das Telefonbuch von Vöcklabruck und Umgebung vorgelesen hätte.

Sein stimmlicher Gestaltungsehrgeiz fand in Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, eingesprochen als monumentales Hörbuch, die lohnendere Aufgabe. Zuletzt fragte man sich, wie sich etwa Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe seinen Reineke Fuchs jemals anders denn von Matić vorgetragen hatte vorstellen können. Und so konnte man – ob seiner zahlreichen kleineren Rollen am Wiener Burgtheater – beinahe darauf vergessen, dass Matićs hagere, dabei unendlich gemessene Erscheinung unverzichtbar war für die Herstellung und Pflege des "österreichischen Charakters".

Elegant hingetupfte Farbkleckse

Der Spross einer kakanischen Offiziersfamilie absolvierte das Max-Reinhardt-Seminar und fand über Umwege nach München, schließlich an die Staatlichen Schauspielbühnen in Berlin. Er bot Schauspielkollegen wie Helmut Griem oder Thomas Holtzmann auf der Bühne tadellos Paroli und versah wichtige Aufführungen der Salzburger Festspiele mit elegant hingetupften Farbklecksen. Als Zeremonienmeister in Johannes Schaafs legendärer Leonce und Lena-Produktion am Salzburger Landestheater schien Matić 1975 sogar auf Besuch zu uns Menschen gekommen: ein unbehaglicher Gast aus den Wahnsinnssphären des Romantikers E. T. A. Hoffmann.

Nachruft auf Peter Matic.
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Die Manierlichkeit seiner Stimme machte den bescheidenen, privat sehr bürgerlich verfassten Mann im ganzen deutschen Sprachraum bekannt. Indem er Ben Kingsley seit dem Film Gandhi (1982) seinen betörenden Sound lieh, wurde Matić unweigerlich zum Bestandteil des akustischen Kollektivgedächtnisses.

Glanz der Monarchie

Die Rolle des Haushofmeisters in Richard Strauss' Ariadne auf Naxos schien ihm auf den schlanken Leib geschneidert. Peter Matić gehörte zum unveräußerlichen Inventar einer Schauspielkunst, die man viel zu häufig für selbstverständlich ansah. Wenn Matić in Karl Kraus' Letzten Tagen der Menschheit an der Sirk-Ecke vorbeispazierte, schienen Glanz wie Verhängnis der Doppelmonarchie von ihm idealtypisch verkörpert. Fast war man erleichtert, wenn dieser bis in die letzte Nuance beherrschte Sprechartist seinen Figuren einen Anflug von Bosheit vergönnte. Ein Traumtänzer mit dem Vorzug absoluter Trittsicherheit: Matić schien der plumpen Zudringlichkeit von Mutter Natur, den Anforderungen von Alter und Einschränkung, bis zuletzt enthoben, auch als er 2017 in Liebesgeschichten und Heiratssachen einen Wirt im Rockerkostüm gab.

Anfang des Jahres spielte Peter Matic als Rabbi (li.) in "Hiob" im Burgtheater.
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Am Donnerstag ist der unersetzliche Burgtheaterschauspieler 82-jährig gestorben. Man wird sich mit den von ihm eingesprochenen Hörbüchern einschließen müssen, um zu lauschen, was Vernunft und Anmut, miteinander vermählt, zu leisten vermögen. (Ronald Pohl, 21.6.2019)