Wenn Dolutegravir in der Frühschwangerschaft eingenommen wird, kann das den Fötus schädigen.

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Duisburg – Für langfristige HIV-Therapien werden häufig Integrase-Inhibitoren (INSTI) eingesetzt. Sie sind nicht nur gut verträglich, sondern auch wirkungsvoll. Sie gehören zu den weltweit am häufigsten verschriebenen Substanzklassen gegen HIV. Forscher der Medizinischen Universität Duisburg-Essen (UDE) und des Universitätsklinikums Essen konnten nun zeigen, dass die bereits zugelassenen Integrasehemmer potenziell schädliche Langzeitnebenwirkungen haben können. Ihre Ergebnisse sind nun im Journal of Clinicial Investigation Insight erschienen.

Die neuen Labordaten legen nahe, dass INSTI möglicherweise nicht so sicher sind wie bislang gedacht. Die Forscher fanden heraus, dass sie einen starken Effekt auf die Aktivität von Immunzellen haben und insbesondere die Aktivität und Funktion von CD4-T-Helferzellen reduzieren. Da das HI-Virus selbst CD4-Helferzellen angreift und zerstört, ist es fraglich, ob diese Medikamentenklasse die beste Wahl zur dauerhaften Therapie von HIV ist. Die oben beschriebenen Wirkungen konnten nicht bei anderen HIV-Medikamenten, einschließlich Proteaseinhibitoren (PI), Inhibitoren der reversen Transkriptase ((N) NRTI), oder anderen Wirkstoffkombinationen nachgewiesen werden.

Aber auch bei den INSTI-Präparaten gab es Unterschiede: Während Elvitegravir (EVG) und Dolutegravir (DTG) einen signifikanten Einfluss auf die Zellfunktion hatten, zeigte Raltegravir keinerlei Effekt.

Zellaktivität verlangsamt

Um die Ursache für die verminderte Funktion, das Wachstum und die Zellteilung von CD4-T-Zellen besser zu verstehen, untersuchten die Forscher einen möglichen Einfluss der Wirkstoffe auf die Mitochondrien. Mitochondrien sind wichtige Zellorganellen in unserem Körper, die Energie für jegliche Zellfunktionen liefern. Die Forscher konnten zeigen, dass die Integrase-Inhibitoren die Elektronentransportkette der Mitochondrien störten und deren Atmungskapazität beeinträchtigten. Dadurch wurde insgesamt die Zellaktivität verlangsamt.

"Der Einfluss von DTG und EVG auf die Zellfunktionen ist höchstwahrscheinlich systemisch", erklärt Studienleiter Hendrik Streeck. "Allerdings sind CD4-T-Zellen metabolisch sehr aktiv, daher können in diesen Zellen solche Effekte leichter entdeckt werden."

An Gewicht zulegen

Unabhängig von der aktuellen Studie wurde DTG schon früher mit möglichen schwerwiegenden Nebenwirkungen in Verbindung gebracht. Im Jahr 2018 warnten die Arzneimittelaufsichtsbehörden vor möglichen Schäden für Babys von Frauen, die Dolutegravir in der Frühschwangerschaft eingenommen hatten. Vorläufige Ergebnisse der sogenannten Tsepamo-Studie in Botswana zeigten ein leicht erhöhtes Risiko für Neuralrohrdefekte. Zu den häufigsten Neuralrohrfehlbildungen gehören die Anenzephalie, bei der sich wesentliche Teile des Gehirns, der Hirnhäute und der darüber liegenden Schädelknochen und Haut nicht entwickeln. Die Ergebnisse führten zu Sicherheitswarnungen und Aufhebung von Plänen zur Einführung einer DTG-basierten Behandlung in einigen afrikanischen Ländern südlich der Sahara.

Zusätzlich wurden in mehreren kürzlich durchgeführten Studien INSTI mit einer signifikanten Gewichtszunahme in Zusammenhang gebracht werden. "INSTI sind eine großartige Klasse von Medikamenten und haben weltweit Millionen von Menschen geholfen. Unsere Studie fordert jedoch eine erhöhte Pharmakovigilanz für eine potenziell schwerwiegende Langzeittoxizität dieser Substanzen" sagt Streeck. "Angesichts der weit verbreiteten Nutzung von INSTI sind prospektive Studien erforderlich, um die breiteren klinischen Auswirkungen unserer Ergebnisse zu bestimmen." (red, 24.6.2019)